Drogen und Sucht
von: Dr. Barbara Braun, Hanna Dauber, Prof. Dr. Ludwig Kraus – IFT - Institut für Therapieforschung München
Im Jahr 2015 wurden in Sachsen (n=2.255) und in Deutschland223 (n=9.204) Personen aus einer repräsentativen Stichprobe zu ihrem Substanzkonsumverhalten befragt (Epidemiologischer Suchtsurvey 2015; Piontek et al., 2017). In Sachsen gaben 76,3 Prozent (entspricht 1,87 Millionen Personen) der 18- bis 64-Jährigen an, innerhalb der letzten 30 Tage Alkohol konsumiert zu haben (Bund: 72,5% beziehungsweise 36,97 Millionen Personen). Etwa 19,7 Prozent (483.000 Personen) waren von einem klinisch relevanten Alkoholkonsum betroffen (Bund: 19,0% beziehungsweise 9,69 Millionen Personen), bei Männern waren dies 32,1 Prozent (405.000 Personen; Bund: 28,3% beziehungsweise 7,28 Millionen Personen) und bei Frauen 6,5 Prozent (entspricht 77.000 Personen). Dieser Wert der betroffenen Frauen war signifikant niedriger als im Bund mit 9,5 Prozent beziehungsweise 2,40 Millionen Personen. Einen Konsum illegaler Substanzen innerhalb des letzten Jahres berichteten 7,4 Prozent (181.000 Personen; Bund: 7,1% beziehungsweise 3,63 Millionen Personen). Die am häufigsten konsumierte Substanz war mit 5,6 Prozent Cannabis (137.000 Personen; Bund 6,1% beziehungsweise 3,11 Millionen Personen). Einen Konsum von Amphetaminen (auch Methamphetamin) berichteten 0,6 Prozent (15.000 Personen) der 18- bis 64-jährigen sächsischen Allgemeinbevölkerung (Bund: 1,1% beziehungsweise 539.000 Personen).
Insbesondere die Zahlen des Alkoholkonsums verdeutlichen, dass der Konsum psychoaktiver Substanzen kein gesellschaftliches Randphänomen ist. Konsum ist jedoch nicht gleichzusetzen mit einer substanzbezogenen Störung.224 Diese schwere psychische Erkrankung ist durch das Zusammenwirken mehrerer Faktoren bedingt, wobei sich seit Jahren das bio-psycho-soziale Modell als Erklärung etabliert hat (Knoll et al., 2013). Im bio-psycho-sozialen Modell spielen soziale Rahmenbedingungen und Lebenslagen sowie genetische Voraussetzungen eine Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von substanzbezogenen Problemen oder sogenannten Verhaltenssüchten. Auswirkungen und Folgen von Suchtproblemen wirken auch auf die sozialen Bezüge wie Partnerschaften, Kinder sowie Erwerbs- und Wohnsituation zurück. Insofern kommt dem Thema Drogen und Sucht in einer Sozialberichterstattung ein hoher Stellenwert zu. Die Relevanz von Alkohol- und Tabakkonsum in Bezug auf Krankheitsfolgen und Sterblichkeit sowie Schlussfolgerungen für die Prävention wurden im Kapitel Gesundheit beschrieben und es wurden Schlussfolgerungen für die Prävention abgeleitet.
Der Schwerpunkt dieses Kapitels liegt auf der Betrachtung der Versorgung von Personen mit substanzbezogenen Störungen, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung der Fallzahlen sowie die zeitliche Entwicklung des Auftretens einzelner Diagnosen (Kapitel Fallentwicklung der Hauptdiagnosen nach Geschlecht und Altersgruppen). Hierbei wurden sowohl die ambulante Suchthilfe als auch das stationäre Versorgungssetting mit Akut- und Rehabilitationsversorgung analysiert. Daneben gibt ein Blick auf weitere Hilfeangebote wie Suchtberatung in den Justizvollzugsanstalten Aufschluss darüber, welche spezifischen Zielgruppen erreicht wurden. Über einen längeren Zeitraum betrachtet ermöglicht die Analyse dieser Daten eine Einschätzung und Beurteilung von Veränderungen in der Versorgungslage. Die im Versorgungssystem erfassten Personen mit Suchtproblemen stellen ein gewisses Abbild der Problemlage in der Allgemeinbevölkerung dar. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass hilfesuchende Personen nur eine Auswahl aus dem Kreis derjenigen Personen darstellen, die von substanzbezogenen Störungen betroffen sind. Hilfesuchende Personen mit Suchtproblemen unterscheiden sich von solchen, die (noch) keine Hilfe suchen, beispielsweise im Hinblick auf Problembewusstsein, Motivation, Selbstwirksamkeitserwartung oder sozialen Druck. Dies ist bei der Interpretation der Daten zu berücksichtigen.
Einen weiteren Schwerpunkt dieses Kapitels bilden Merkmale der betroffenen, hilfesuchenden Klientel im zeitlichen Verlauf von 2005 bis 2015 (Kapitel Betroffene Personengruppen). Regional unterschiedliche sowie geschlechtsspezifische Entwicklungen wurden dabei besonders berücksichtigt. Auch wurden in diversen Abschnitten Bezüge zur demografischen Entwicklung (Kapitel Demografie), zur soziodemografischen Situation der Allgemeinbevölkerung (Kapitel Erwerbstätigkeit und Einkommen, Familien und Unterstützungsleistungen des Freistaates Sachsen) und zur Gesundheit (Kapitel Gesundheit) hergestellt.
Neben der grundlegenden Charakterisierung der von Suchtproblemen betroffenen und hilfesuchenden Klientel sollen zudem ausgewählte Folgen und Problemlagen im Zusammenhang mit Substanzkonsum dargestellt werden (Kapitel Ausgewählte Folgen und Problemlagen in zeitlicher Perspektive). Da Alkohol eine Substanz ist, die in der Allgemeinbevölkerung am häufigsten konsumiert wird und in Hinblick auf die Gesundheit der Bevölkerung die höchste Relevanz hat, wird der Betrachtung alkoholbezogener Morbidität und Mortalität ein eigener Abschnitt (Kapitel Alkoholbedingte Mortalität und Morbidität) gewidmet. Als ein wesentliches Problem des Konsums psychotroper Substanzen bei Frauen wird im Kapitel Werdende Mütter und Drogenkonsum auf Daten zum Drogenkonsum bei werdenden Müttern eingegangen. Zudem werden als weitere spezifische Problemlage die (erfassten) Straftaten in Zusammenhang mit psychotropen Substanzen insgesamt und mit ausgewählten einzelnen Substanzen dargestellt (Kapitel Straftaten in Zusammenhang mit psychotropen Substanzen). Regional differenzierte Daten aus der Kriminalstatistik bieten eine Ergänzung der Daten aus den Versorgungssystemen, deren Blick sich naturgemäß ausschließlich auf die hilfesuchende Klientel richtet.
Fußnoten
223 Bei allen Vergleichen zwischen Sachsen und Deutschland schließt »Deutschland« alle Bundesländer, also auch Sachsen, mit ein.
224 In diesem Kapitel wird der Begriff substanzbezogene Störungen als Überbegriff für Substanzabhängigkeit und Substanzmissbrauch verwendet. Der Begriff substanzbezogene Störungen wird als weniger stigmatisierend angesehen als der Begriff Sucht und hat mittlerweile auch Eingang gefunden in das Diagnosesystem DSM (Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen, Falkai, 2015) als »Störungen im Zusammenhang mit psychotropen Substanzen und abhängigen Verhaltensweisen«. Hier geht auch die Störung durch Glücksspielen als sogenannte Verhaltenssucht ein.