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Zusammenfassung und Handlungsempfehlungen

Fallentwicklungen und betroffene Personengruppen

Dieser Zusammenfassung vorangestellt sei, dass es sich bei den Indikatoren zur Fallentwicklung und den betroffenen Personengruppen um die Inanspruchnahme von Hilfeangeboten handelt. Die Nachfrage nach Suchthilfe ist kein unmittelbarer Indikator für die allgemeine Suchtbelastung in der Bevölkerung. Über einen längeren Zeitraum betrachtet, ermöglichen die Daten aber eine Einschätzung und Beurteilung von Veränderungen in der Versorgungslage und geben erste Hinweise auf Veränderungen in den Konsummustern.

In den Jahren 2008 bis 2015 hat sich in den verschiedenen Versorgungsbereichen (ambulant und stationär) eine Zunahme an stimulanzienbezogenen Fällen gezeigt, worunter auch Behandlungen wegen Crystal Meth fallen. Dennoch waren und sind alkoholbezogene Störungen die häufigsten Diagnosen, die Menschen veranlassen, suchtbezogene Hilfe aufzusuchen.

Im Vergleich zu Deutschland243 nahm Sachsen bei den illegalen Substanzen eine Sonderrolle ein, da deutlich mehr Fälle mit Bezug zu Stimulanzien vorlagen. Jeder fünfte Fall mit stimulanzienbezogener Hauptdiagnose in der ambulanten Suchthilfe in Deutschland wurde in Sachsen dokumentiert. Bei cannabinoid- und opioidbezogenen Störungen wies Sachsen aber im Vergleich zu Deutschland deutlich weniger Fälle auf.

Insbesondere veränderte Konsummuster trugen in Sachsen zum Fallaufkommen bei. Dabei muss offenbleiben, ob sich im Fallaufkommen eine unterschiedliche Nachfrage nach Suchthilfe vor dem Hintergrund einer unterschiedlichen Ausgestaltung des Hilfeangebotes abbildet oder ob es sich um regional unterschiedliche Hilfebedarfe handelt. Sichtbar wurde, dass ältere Menschen in größerem Umfang wegen alkoholbezogenen Störungen Hilfe suchten, während dies bei stimulanzienbedingten Störungen auffallend häufig bei jungen Frauen der Fall war. Insgesamt waren Männer in der Suchthilfe als Klienten häufiger vertreten als Frauen. Die weitere Untersuchung der betroffenen Personengruppen ergab, dass die Klientel in der sächsischen ambulanten Suchthilfe hinsichtlich soziodemografischer Merkmale sowie der Versorgungsnutzung weitgehend mit der Klientel in der deutschen Suchthilfe vergleichbar war.

Vor diesem Hintergrund sind nach wie vor Maßnahmen zur Steigerung des Problembewusstseins und der Prävention riskanten Alkoholkonsums angezeigt. Der Trend zu einer älter werdenden Klientel mit Hauptdiagnose Alkohol stellt die Suchthilfe und andere Versorgungsstrukturen vor zukünftige Herausforderungen. Dies erfordert, die Hilfeangebote und Kooperationsstrukturen stetig auf ihre (regionale) Bedarfsangemessenheit zu prüfen und anzupassen.

Die Suchtselbsthilfe in Sachsen verfügt über eine große Anzahl an Selbsthilfegruppen.244 Deutlich wurde, dass die ambulante rehabilitative Versorgung regional einer Stärkung bedarf (siehe Kapitel Ambulante Suchthilfe). Hinweise auf eine verhältnismäßig gering ausgeprägte Zusammenarbeit zwischen Suchthilfe und ärztlichen/psychotherapeutischen Praxen legen nahe, die Schnittstellenarbeit zwischen den Versorgungssegmenten nachhaltiger zu etablieren. Dies gewinnt vor dem Hintergrund einer sich verändernden Klientel (mehr Hauptdiagnosen im Bereich illegaler Substanzen, vor allem Stimulanzien) eine besondere Bedeutung. Die funktionierende Zusammenarbeit zwischen Jobcentern und Suchthilfe sollte bewahrt und weiter ausgebaut werden, um diese wichtige strukturelle Vernetzungsleistung auch künftig nutzen zu können.

Ausgewählte Folgen und Problemlagen

Beunruhigend ist die Zahl der stationären Behandlungsfälle mit der Diagnose Schädigung des Fötus und Neugeborenen durch den mütterlichen Substanzkonsum, die in den letzten Jahren gestiegen ist. Obwohl sich die Universitätskliniken Dresden und Leipzig dieser Problemlage intensiv gewidmet haben, ist von einer hohen Dunkelziffer unerkannter Fälle auszugehen. Eine weitere landesweite Sensibilisierung der Ärzte ist sehr wünschenswert, ergänzt durch Studien zur Schätzung des Problemausmaßes bei Schädigungen von Föten und Neugeborenen durch den Konsum psychotroper Substanzen bei werdenden Müttern. Darüber hinaus gilt es, ein besonderes Augenmerk auf spezifische Hilfebedarfe, auf die Diagnostik und Erreichbarkeit dieser Zielgruppe zu richten: Wie kann man diese besser und früher erkennen? Wie kann man sie in entsprechende präventive Maßnahmen und Hilfeangebote vermitteln? Insbesondere wenn es um betroffene Dritte – Föten, Neugeborene und Kinder – geht, besteht Handlungsbedarf.

Jugendliche fielen durch ihren überproportionalen Anteil an Straftaten in Zusammenhang mit psychotropen Substanzen auf. Ein für die Zukunft wichtiges Handlungsfeld dürfte hier die stärkere Vernetzung von Suchthilfe, Jugendhilfe und Justiz sein. Der Anteil der Rauschmitteldelikte an allen Straftaten ist von 2009 bis 2014 gestiegen. Allerdings sind Rauschmitteldelikte bezogen auf die Gesamtbevölkerung nicht sehr häufig. Die Anzahl der Sicherstellungen von Crystal Meth (wie auch die Sicherstellungsmengen) ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen und war in Sachsen im Bundesländervergleich am höchsten. Dies spricht unter anderem dafür, dass die strukturellen Voraussetzungen der Strafverfolgung verbessert worden sind. Im regionalen Vergleich ergab sich, dass die Anzahl der Crystal-Meth-Delikte je 100.000 Einwohner mit der Einwohnerzahl leicht steigt und damit eine Konzentration auf die mittelgroßen und großen Städte vorliegt.

Steuerungsrelevante Indikatoren und offene Fragen

Die Deutsche Suchthilfestatistik (DSHS) liefert eine Reihe wichtiger Indikatoren zur Steuerung der Versorgungssituation. Die DSHS wird als Monitoringsystem standardmäßig jährlich erhoben und ausgewertet, daher besteht kein grundsätzlicher Erweiterungsbedarf der Indikatoren. Eine regionale Betrachtung ist sinnvoll und möglich. Die wichtigsten Indikatoren sind die Fallzahlen und die Verteilung der Hauptdiagnosen, Kennzahlen für Marginalisierung (Klienten ohne Schulabschluss, ohne Arbeit, ohne Wohnung) und betroffene Dritte (zum Beispiel Kinder) sowie der Versorgungsnutzung (Kontaktzahl, Beendigungsdaten). Daten zur Inanspruchnahme von Raucherentwöhnungsprogrammen sind in der DSHS nicht enthalten. Die Kriminalstatistiken ergänzen die Daten aus der Versorgung um die Perspektive der Strafverfolgung.

Versorgungs- und Kriminalitätsdaten erlauben jedoch keine Aussagen zum Problemausmaß des Konsums psychotroper Substanzen auf Ebene der Allgemeinbevölkerung. Dazu bedarf es regionaler epidemiologischer Schätzungen. Der Umfang des Drogenkonsums könnte beispielsweise auf der Grundlage von Abwasseranalysen geschätzt werden. Dass dies ein gangbarer Weg ist, zeigen die jüngsten Abwasseruntersuchungen in Chemnitz mit der im Vergleich zu anderen an der Studie beteiligten Städten höchsten Menge an Abbauprodukten von Crystal Meth, was mit der höchsten Anzahl an Crystal-Meth-Delikten korrespondiert. Zusätzliche Informationen darf man sich durch eine jüngst durch das SMS in Auftrag gegebene epidemiologische Bevölkerungsbefragung von etwa 1.800 Personen im Alter von 15 bis 64 Jahren erhoffen.

 

Fußnoten

243 Bei allen Vergleichen zwischen Sachsen und Deutschland schließt »Deutschland« alle Bundesländer, also auch Sachsen, mit ein.

244 Laut Information des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Verbraucherschutz gab es in Sachsen im Jahr 2012 etwa 351 Selbsthilfegruppen zum Thema Alkohol und 97 Gruppen zum Thema illegale Drogen.

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