Zusammenhang zwischen sozialer Lage und Gesundheit in Sachsen
Für Deutschland konnte der Zusammenhang zwischen sozialer Lage und Gesundheit mit Hilfe individueller Daten beispielsweise. aus Umfragen umfassend nachgewiesen werden. So gibt das Robert Koch-Institut an, dass das Risiko als Angehöriger einer Gruppe mit geringem Einkommen im Verhältnis zu Angehörigen einer hohen Einkommensgruppe bei folgenden Erkrankungen erhöht oder deutlich erhöht ist (Lampert und Kroll, 2010): Herzinfarkt, Angina pectoris, Hypertonie, Herzinsuffizienz, Arthrose, Schlaganfall, Chron. Bronchitis, Osteoporose, Asthma bronchiale, Arthritis, Chron. Lebererkrankung, Diabetes mellitus, Erhöhtes Blutfett/Cholesterin, Chron. Niereninsuffizienz und Depression. Auch werden Tabakkonsum, sportliche Inaktivität und Adipositas bei Angehörigen niedriger Einkommensgruppen zum Teil deutlich häufiger als bei Angehörigen hoher Einkommensgruppen beobachtet.
Studien belegen außerdem, dass die Chancen für eine gesunde Entwicklung der Kinder von Beginn an durch den sozioökonomischen Status ihrer Familien geprägt sind. Verglichen mit Kindern aus Familien mit hohem Status haben Jungen und Mädchen aus Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status ein 3,4- bis 3,7-fach erhöhtes Risiko für einen nur mittelmäßigen bis sehr schlechten Gesundheitszustand (Lampert et al., 2014). Insbesondere wenn die Eltern langzeitarbeitslos und/oder alleinerziehend sind oder einen Migrationshintergrund haben, sind Kinder unter allen Altersgruppen der sozial Benachteiligten am stärksten betroffen. Die schlechteren Gesundheits- und Bildungschancen der Eltern werden häufig über Generationen weitergegeben. Armut kann somit die körperliche, psychische und soziale Entwicklung negativ beeinflussen.
Es ist anzunehmen, dass in Sachsen diese Zusammenhänge ebenfalls bestehen. Allerdings können sie mangels ausreichend differenzierter Daten auf individueller Ebene nicht empirisch belegt werden. Die in der Gesundheits- und Sozialberichterstattung verwendeten Surveydaten wie der Mikrozensus, die Gesundheitssurveys des Robert Koch-Institutes oder das sozioökonomische Panel des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung (DIW) lassen für Sachsen aufgrund des Stichprobenumfanges nur eingeschränkte Aussagen zu. Gleichzeitig wird in den Diagnosestatistiken der Krankenhäuser und Arztpraxen nicht der soziale Status der Patienten erfasst.
Um dennoch das Ausmaß gesundheitlicher Ungleichheit beschreiben zu können, werden sozioökonomische und gesundheitsbezogene Indikatoren räumlich in Beziehung gesetzt. Die Gesamtheit sozioökonomischer Vor- und Nachteile in Sozialräumen werden dabei mittels eines mehrdimensionalen Indexes abgebildet (Kroll et al., 2017). Ein solcher Index soll die »soziale Deprivation« einer Region beschreiben. Ähnlich dem sozioökonomischen Status einer Person werden Indikatoren zum Einkommen, zum Beruf und zur Bildung bei der Konstruktion eines sozialen Deprivationsindexes verwendet. Konkret wurden im jüngst vorgelegten German Index of Socioeconomic Deprivation (GISD, Kroll et al., 2017) Regionaldaten zu folgenden Indikatoren einbezogen:
- Einkommen: Schuldnerquote, Haushaltsnettoeinkommen, Steuereinnahmen
- Beruf: Arbeitslosenquote, Bruttolohn und -gehalt, Beschäftigtenquote
- Bildung: Schulabgänger ohne Abschluss, Beschäftigte am Wohnort mit (Fach-)Hochschulabschluss
Er ist bundesweit auf einen Wertebereich von 0 bis 100 normiert und ist aktuell bis zum Jahr 2012 verfügbar. Die niedrigste soziale Deprivation weist in Deutschland mit einem Indexwert von 0 der Landkreis München in Bayern auf. Die höchste Deprivation besteht nach diesen Berechnungen mit einem Indexwert von 100 im Kreis Mansfeld-Südharz in Sachsen-Anhalt.
Der GISD ist für Sachsen auf Kreisebene in Abbildung 6‑105 dargestellt. Bevölkerungsgewichtet liegt Sachsen insgesamt mit eine Indexwert von 51,1 leicht über dem rechnerischen Mittelwert von 50. Die geringste soziale Deprivation zeigt sich innerhalb Sachsens in Dresden sowie mit etwas Abstand in den angrenzenden Landkreisen Meißen und Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Von den drei Kreisfreien Städten hat Leipzig mit einem Indexwert von 55,6 eine vergleichsweise hohe Deprivation. Besonders sozial belastet sind aber die Landkreise Nordsachsen und Görlitz.
Für Deutschland wurde bereits gezeigt, dass in Regionen mit einer hohen sozialen Deprivation im Schnitt auch ein ungünstigeres Gesundheitsverhalten, eine höhere Sterblichkeit bei wichtigen Todesursachen sowie eine generell niedrigere Lebenserwartung einhergehen (Kroll et al., 2017). Im Folgenden wird untersucht, welche Zusammenhänge sich in Sachsen zwischen sozialer Deprivation und der gesundheitlichen Lage der Bevölkerung in den Landkreisen und Kreisfreien Städten statistisch ergeben.
Gesundheitsverhalten
Aussagen zum Gesundheitsverhalten werden häufig auf der Basis von Umfragen getroffen. Daher lassen sich regionale Vergleiche unterhalb der Landesebene oft nicht vornehmen. In der folgenden Abbildung ist aus diesem Grunde die Zahl junger Patienten (unter 25 Jahre) in den Landkreisen und Kreisfreien Städten Sachsens abgebildet, die in einer Arztpraxis wegen Adipositas behandelt wurden. Adipositas ist unter anderem ein Marker für ungesunde Ernährung und mangelnde Bewegung (siehe auch Kapitel Ernährungsbedingte Krankheiten). In der KiGGS-Studie des Robert Koch-Institutes konnte ein deutlicher Zusammenhang zwischen sozialem Status der Eltern und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen gezeigt werden (RKI und BZgA, 2008).
Auf regionaler Ebene zeigt sich dieser Zusammenhang in Sachsen ebenfalls. Dresden weist mit 2.380 ambulanten Diagnosen je 100.000 Einwohner unter 25 Jahren (männlich)beziehungsweise 3.570 (weiblich) die geringsten Zahlen von Patienten auf, die sich wegen Adipositas in einer Arztpraxis behandeln lassen. Der Landkreis Nordsachsen hat bei höchster sozialer Deprivation auch die höchste Zahl an Patienten mit Adipositas. In den Landkreisen mit mittlerer sozialer Deprivation ist der Zusammenhang nicht so deutlich. Der Landkreis Görlitz weist zum Beispiel relativ niedrige Patientenzahlen mit Adipositas auf – trotz vergleichsweiser hoher Deprivation. Dagegen werden im Landkreis Meißen relativ viele junge Menschen wegen Adipositas in den Arztpraxen behandelt, obwohl die soziale Deprivation dort am zweitniedrigsten in Sachsen liegt. Zieht man statt der ambulanten Diagnosen die Ergebnisse der Schulaufnahmeuntersuchungen im regionalen Vergleich heran, zeigt sich ein ähnliches Bild. Auch hier weist der Landkreis Nordsachsen die höchste und Dresden den niedrigsten Anteil von Kindern mit Adipositas auf (Abbildung 6‑20). Bei Krankenhausfällen zeigt sich dagegen kein Zusammenhang. Dies könnte ein weiterer Beleg dafür sein, dass Krankenhausaufnahmen aufgrund von Adipositas kein guter Indikator für die Verbreitung dieser Krankheit in der Bevölkerung sind, da hier auch Trends in der medizinischen Behandlung wie beispielsweise adipositas-chirurgische Eingriffe im Magen-Darm-Trakt die Fallzahlentwicklung beeinflussen (siehe Adipositas im Kapitel Ernährungsbedingte Krankheiten).
Beim erhöhten Alkoholkonsum ist der Zusammenhang mit der sozialen Lage bereits auf individueller Ebene nicht eindeutig (Abbildung 6‑96). Dies zeigt sich auch auf regionaler Ebene in Sachsen (Abbildung 6‑107). Während bei Männern scheinbar ein leicht positiver Zusammenhang zwischen sozialer Deprivation einer Region und den Krankenhausfällen wegen Alkoholmissbrauch besteht, erscheint er bei den Frauen eher negativ. Anders als bei Adipositas dürften daher Krankenhausaufnahmen wegen Alkoholmissbrauch weniger selektiv sein und tatsächlich ein Marker für die Verbreitung riskanten Alkoholkonsums darstellen.
Kein Zusammenhang mit der sozialen Deprivation einer Region lässt sich bei der Inanspruchnahme der U-Untersuchungen oder der Zahngesundheit bei Kindern und Jugendlichen feststellen. Bei den U-Untersuchungen wird ohnehin ein sehr großer Teil der Kinder erreicht (siehe Kapitel Prävention und Gesundheitsförderung im Kindes- und Jugendalter). Und bei der Zahngesundheit lassen sich die Unterschiede eventuell eher mit dem Anteil der durch Prophylaxemaßnahmen in Kitas und Grundschulen erreichten Kinder erklären (siehe Kapitel Zahngesundheit).
Krankheitslast
Diabetes ist in Deutschland in denjenigen Regionen stärker verbreitet, die durch eine erhöhte soziale Deprivation gekennzeichnet sind. Und dies gilt selbst dann, wenn man den Anteil des individuellen, sozioökonomischen Status herausrechnet (Maier et al., 2013, 2014). Dafür könnten etwa schlechtere Zugangsmöglichkeiten zu Parks und Sportstätten, zu Wochenmärkten mit frischem Obst und Gemüse aber auch zu einer guten ärztlichen Versorgung Ursachen sein. Abbildung 6‑108 stellt einen Zusammenhang zwischen den altersstandardisierten Prävalenzraten von Diabetes mellitus Typ 2 und der sozialen Deprivation in Sachsen dar. Die Prävalenzraten wurden bundesweit auf der Basis ambulanter Diagnosen vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung ermittelt (siehe auch Diabetes mellitus im Kapitel Ernährungsbedingte Krankheiten).
Auch für Sachsen ist ein positiver Zusammenhang erkennbar: Je höher die soziale Deprivation, desto stärker ist tendenziell Diabetes mellitus Typ 2 verbreitet. Die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen (KVS) hat ebenfalls Daten zu häufigen ambulanten Diagnosen (Adipositas, Diabetes, Bluthochdruck) in den Arztpraxen Sachsen zur Verfügung gestellt. Bei all diesen ambulanten Diagnosen zeigt sich in der Tendenz der beschriebene Zusammenhang.
Dies gilt nicht für die Krankenhausfälle. Weder für Adipositas, noch für Depression, Lungenkrebs, Darmkrebs oder Hautkrebs konnte ein relevanter Zusammenhang zur sozialen Deprivation in der Region (positiv oder negativ) hergestellt werden. Wie schon bei Adipositas oben erwähnt, könnten bei Krankenhausaufnahmen andere Faktoren als die Verbreitung einer Erkrankung in der Region eine größere Rolle spielen, wie beispielsweise die Zusammenarbeit der ambulanten und stationären Versorgung vor Ort.
Sterblichkeit
Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status sterben früher als Menschen mit höherem Status. Der Zusammenhang ist etwa bei Einkommen nahezu linear (Abbildung 6‑109). So können Männer, die über weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens verfügen, ab einem Alter von 65 Jahren noch mit einer Lebenserwartung von 12,3 und Frauen mit 16,2 Jahren rechnen. In der höchsten Einkommensklasse liegt die restliche Lebenserwartung bei Männern bei 19,7 und bei Frauen gar bei 22,5 Jahren. Die geringere Lebenserwartung ist die Folge der körperlichen und psychosozialen Belastungen und der daraus resultierenden erhöhten Krankheitslast im Lebensverlauf.
Auch in Sachsen kann ein solcher Zusammenhang auf regionaler Ebene anhand der standardisierten Mortalitätsrate (SMR) beobachtet werden (Abbildung 6-110). Referenzwert der SMR ist die durchschnittliche Sterblichkeitsrate in Sachsen, die mit eins angegeben ist. Werte darüber bedeuten eine höhere und Werte darunter eine niedrigere regionale Sterblichkeit als im sächsischen Durchschnitt. Sowohl bei Frauen als auch bei Männern ist die SMR in den Kreisen erhöht, in denen auch eine erhöhte soziale Deprivation festzustellen ist. Dieser Befund steht im Einklang mit Ergebnissen für Gesamtdeutschland und ist kein sächsisches Spezifikum (Kroll et al., 2017).
Die Zusammenhangsanalysen zwischen der gesundheitlichen und der sozialen Lage in den Regionen lassen erkennen, dass die in der Literatur beschriebenen und in zahlreichen Studien auf individuelle Ebene empirisch gezeigten Einflüsse auch in Sachsen zu beobachten sind. Dabei spielen neben individuellen Faktoren auch die regionalen Lebensbedingungen in den Kommunen eine Rolle.