Prävention und Gesundheitsförderung im Kindes- und Jugendalter
Im Kindes- und Jugendalter haben Primärprävention und Gesundheitsförderung einen besonders hohen Stellenwert. Die Menschen sind in jungen Jahren noch wenig durch Gesundheitsprobleme belastet, gleichzeitig liegt der Ursprung von Erkrankungen und ungesundem Verhalten häufig in diesem Lebensabschnitt. Dass bereits im Kindesalter eine Verschiebung des Krankheitsspektrums von akuten hin zu chronischen Erkrankungen (zum Beispiel Adipositas, Richter-Kornweitz, 2015) erkennbar ist, sollte Anlass für verstärkte Anstrengungen zur Prävention und Gesundheitsförderung in dieser Altersgruppe geben.
Studien belegen außerdem, dass die Chancen für eine gesunde Entwicklung der Kinder von Beginn an durch den sozioökonomischen Status ihrer Familien geprägt sind. Verglichen mit Kindern aus Familien mit hohem Status haben Jungen und Mädchen aus Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status ein 3,4 bis 3,7-fach erhöhtes Risiko für einen nur mittelmäßigen bis sehr schlechten Gesundheitszustand (Lampert et al., 2014). Insbesondere wenn die Eltern langzeitarbeitslos sind, alleinerziehend sind oder einen Migrationshintergrund haben, sind Kinder unter allen Altersgruppen der sozial Benachteiligten am stärksten betroffen. Die schlechteren Gesundheits- und Bildungschancen der Eltern werden häufig über Generationen weitergegeben. Armut kann somit die körperliche, psychische und soziale Entwicklung negativ beeinflussen.
Schwangerschaft und erste Lebensjahre – die ersten 1.000 Tage
Die Entwicklungsbedingungen im Mutterleib und die ersten Lebensjahre prägen die Gesundheit eines Menschen für sein Leben. Der gesundheitliche Status der Mutter und ihr Gesundheitsverhalten wirken sich direkt über die Placenta auf die Gesundheit des Kindes aus (Burton et al., 2016). Beispielsweise sind die Möglichkeiten der Adipositasprävention hier besonders wirkungsvoll (Gießelmann, 2016). Dazu gehören die Verbesserung der mütterlichen Ernährungsweise, die Reduzierung mütterlichen Übergewichtes und das Stillen im ersten Lebensjahr. Auch die Eltern-Kind-Bindung und die elterliche Erziehungskompetenz sind wesentliche Faktoren für eine gesunde Entwicklung des Kindes. Belastende Lebenssituationen und psychische Probleme der Eltern können dazu führen, dass diese ihre Kinder nicht angemessen versorgen und fördern können.
In Deutschland haben alle Frauen und Kinder Anspruch auf regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen von der Schwangerschaft bis zum Alter von circa fünf Jahren. Die sogenannten U-Untersuchungen dienen der Kontrolle der zeitgerechten körperlichen und geistigen Entwicklung einschließlich der Einleitung von erforderlichen Maßnahmen bei Problemen. Im Zusammenhang mit dem Thema Impfungen wurden die U-Untersuchungen bereits erwähnt. Die U3- bis U6-Früherkennungsuntersuchungen werden von 98,2 Prozent aller Kinder im entsprechenden Alter in Anspruch genommen, die U7, U7a und U8 immer noch von 97,5, 91,7 beziehungsweise 95,5 Prozent. Am niedrigsten war die Quote bei der U9 (86,0%).
Über alle Vorsorgeuntersuchungen hinweg zeigten sich regionale Unterschiede hinsichtlich der Fälle, bei denen keine Dokumentation der Untersuchung vorlag (Abbildung 6‑30). Die Ursachen dafür sind nicht bekannt, sollten aber näher untersucht werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass ein möglicher Handlungsbedarf bei den Kindern rechtzeitig entdeckt wird.
Die U-Untersuchungen sind freiwillig. Zur Aufdeckung von Kindeswohlgefährdung wurde jedoch in Sachsen wie auch in anderen Bundesländern im Jahr 2010 ein Einladungs- und Erinnerungsverfahren (EEV) eingerichtet (Sächsisches Kinderschutzgesetz, SächsKiSchG), das bis 2015 befristet war. Die Inanspruchnahme der gesundheitlichen Früherkennungsuntersuchungen bei Kindern bis zum vierten Lebensjahr ist in Folge der Einführung zwar gestiegen, die Evaluation des Gesetzes ergab jedoch die Notwendigkeit weiterer Maßnahmen, um von Misshandlung gefährdete Kinder zu identifizieren und zu schützen. Die Evaluation wies außerdem darauf hin, dass insbesondere sozial schwache und bildungsferne Eltern und Erziehungsberechtige ihre Kinder nicht zu den U-Untersuchungen bringen (Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz, 2014).
Frühe Hilfen sind regionale Unterstützungssysteme mit koordinierten Hilfsangeboten für Eltern und Kinder ab Beginn der Schwangerschaft und in den ersten Lebensjahren. Am Beispiel der Frühen Hilfen zeigt sich die enge Verzahnung aus Sozial- und Gesundheitspolitik. Durch aufsuchende, präventive Arbeit der Jugendämter (APA) werden junge Ersteltern über regionale Beratungs-, Unterstützungsangebote und Hilfen informiert und bei Bedarf weiterführende Angebote vermittelt. Ziel des Netzwerkes ist eine möglichst frühzeitige, koordinierte und multiprofessionelle, dem Bedarf angepasste Unterstützung. Die Hausbesuche sind für die Eltern freiwillig und stellen ein niederschwelliges Angebot dar. Angebote der Frühen Hilfen reichen von alltagspraktischer Unterstützung wie beispielsweise Hilfe im Haushalt bis hin zur Förderung der Beziehungs- und Erziehungskompetenz. Zielgruppen sind alle Eltern (universelle Prävention), allerdings mit dem Fokus auf Familien in Problemlagen (selektive Prävention). Im Landesprojekt »Netzwerke für Kinderschutz – Pro Kind Sachsen« hat sich gezeigt, dass Mütter und Väter in schwierigen Lebenslagen insbesondere in Kindertageseinrichtungen, Agenturen für Arbeit beziehungsweise Jobcentern sowie gynäkologischen Praxen für Informationen zu den Frühen Hilfen erreichbar sind und zur Inanspruchnahme motiviert werden können (Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz, 2012).
Netzwerke für Kinderschutz und Frühe Hilfen bestehen mittlerweile in allen sächsischen Landkreisen und Kreisfreien Städten (Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz, 2012). Die Ausgestaltung der Angebote und der Kooperationen in der Praxis sind jedoch regional unterschiedlich. Beispielsweise erfolgt der Einsatz von Familienhebammen bisher nur in einzelnen Gebietskörperschaften. Träger sind die öffentliche oder freie Jugendhilfe, in enger Kooperation mit den Netzwerkkoordinatoren am jeweiligen Jugendamt. Die Netzwerkkoordinatoren entscheiden in der Regel über den Einsatz von Familienhebammen in belasteten Familien. Auch ehrenamtliche Mitarbeiter sind meist Teil des Netzwerkes.
Gesundheitsvorsorge und -förderung in Kita und Schule
Grundsätzlich sind Kinder und Jugendliche über die Institutionen des Lernens gut erreichbar. Über die Settings Kita und Schule kann außerdem versucht werden, die familiären Rahmenbedingungen durch Einbindung der Eltern und anderer familiärer Bezugspersonen positiv zu beeinflussen (GKV-Spitzenverband, 2017). Ausnahmen bilden jedoch Kinder, die vor Beginn der Schulpflicht nicht in Einrichtungen betreut werden. Diese Kinder sind schwer erreichbar und häufig gleichzeitig besonderen Belastungen ausgesetzt.
Ein Schwerpunkt in der staatlichen Vorsorge ist die Impfung von Kindern. Um die Impfquoten zu erhöhen, wurde eine verpflichtende ärztliche Impfberatung für Eltern eingeführt, die ihre Kinder in einer Kita betreuen lassen möchten (§ 34 Absatz 10a lfSG). Können die Eltern diese Beratung nicht nachweisen, sind die Kita-Leitungen verpflichtet, dies dem Gesundheitsamt zu melden, welches den Eltern eine Beratung anbieten kann.134
Zu den staatlich organisierten Präventionsmaßnahmen im Setting Kita und Schule zählen vor allem die Gruppenprophylaxen zur Zahngesundheit sowie die Untersuchung in der Kita, die Schulaufnahmeuntersuchungen sowie die Untersuchungen während der Schulzeit durch den Kinder- und Jugendärztlichen und Jugendzahnärztlichen Dienst im Freistaat Sachsen. Auf die zunehmend bessere Zahngesundheit bei Kindern in Sachsen wurde bereits eingegangen. Die Teilnahme an den jährlichen zahnärztlichen Untersuchungen ist freiwillig.135 Die Schulaufnahmeuntersuchungen durch Kinder- und Jugendärzte des Gesundheitsamtes, deren Ergebnisse ausschnittsweise bereits vorgestellt wurden, sind für alle schulpflichtigen Kinder gesetzlich vorgeschrieben.
Neben den staatlich organisierten Maßnahmen gibt es für Kinder und Jugendliche zahlreiche − bundesweite und sachsenspezifische − Präventions- und Gesundheitsförderungsprogramme im Setting Kita und Schule, die in einzelnen Einrichtungen umgesetzt werden. Mit Blick auf die zunehmende Zahl von Diagnosen psychischer und Verhaltensstörungen, sind Interventionen, die die Lebenskompetenz, Resilienz und psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen stärken, besonders hervorzuheben. In einigen sächsischen Kitas werden beispielsweise die Programme »Starke Kinder gute FREUNDE«136 und »Schatzsuche«137 mit diesem Ziel angeboten. Für Kinder mit besonderen Lebens- und Lernerschwernissen gibt es zudem an 147 sächsischen Kitas zusätzliche pädagogische Fachkräfte im Rahmen des Programmes »KINDER STÄRKEN«138 und dem Projekt »Ich bin ich«.
An einigen sächsischen Schulen werden die bundesweiten Programme »MindMatters – Mit psychischer Gesundheit gute Schule entwickeln« und »Verrückt? Na und!« durchgeführt. An den Schulen spielt auch die Suchtprävention eine bedeutende Rolle. Beispielsweise erreichten 76 Prozent der 206 teilnehmenden Klassen aus Sachsen im Jahr 2016/2017 beim bundesweiten Nichtraucherwettbewerb »Be Smart – Don’t Start« das Ziel, ein halbes Jahr rauchfrei zu bleiben. Der bundesweite Durchschnitt lag bei 78 Prozent. Auch das im Rahmen ihrer beiden Jugendkampagnen »rauchfrei« und »Alkohol? Kenn dein Limit.« beziehungsweise »Null Alkohol – Voll Power!« von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) entwickelte Angebot »KlarSicht« findet in Sachsen Anwendung. Zuständig ist hier die sächsische Fach- und Koordinierungsstelle Suchtprävention. Der Einsatz von Lebenskompetenztrainings hat sich als erfolgreichste Einzelstrategie im Bereich der Schule erwiesen (Hurrelmann et al., 2004). In diesen Trainings werden Fertigkeiten praktisch geübt, wie das Ablehnen von Drogenangeboten, das Nein-Sagen zu mehr Alkohol oder der Umgang mit Stress und Konfliktsituationen.
Neben spezifischen Programmen können sich alle Bildungseinrichtungen in Sachsen durch ein Gesundheits-Audit zertifizieren lassen. Das Gesundheits-Audit soll der Qualitätssicherung und -entwicklung dienen. Anhand festgelegter Kriterien wird beispielsweise die Gestaltung einer gesundheitsförderlichen Umgebung bewertet. Das Qualitätssiegel wurde durch die Landesvereinigung für Gesundheit Sachsen-Anhalt e.V. entwickelt und wird in Sachsen durch die IKK classic gefördert. Derzeit sind 58 »Gesunde KiTas« und 27 »Gesunde Schulen« in Sachsen zertifiziert.
Angesichts des steigenden Anteiles von Kindern mit Adipositas sind die Programme mit einem Fokus auf gesunder Ernährung besonders wichtig. So ist es Ziel der Vernetzungsstelle Kita- und Schulverpflegung allen Kindern und Jugendlichen in Sachsen den gleichen Zugang zu einer gesundheitsfördernden, schmackhaften und qualitativ hochwertigen Ernährung in den Settings Kita und Schule zu ermöglichen. Dieses Ziel soll durch die Umsetzung von Verpflegungskonzepten und den Aufbau eines sachsenweiten Netzwerkes für die Kita- und Schulverpflegung erreicht werden. Projektträger der Vernetzungsstelle ist die SLfG, finanziert wird das Projekt durch Landesmittel.139
Fußnoten
134 Gemäß §7 des SächsKitaG haben die Erziehungsberechtigten vor Aufnahme des Kindes in die Kindertageseinrichtung nachzuweisen, dass das Kind ärztlich untersucht worden ist und keine gesundheitsbezogenen Bedenken gegen den Besuch der Einrichtung bestehen. Sie haben dem Träger ferner nachzuweisen, dass das Kind seinem Alter und Gesundheitszustand entsprechend alle öffentlich empfohlenen Schutzimpfungen erhalten hat, oder zu erklären, dass sie ihre Zustimmung zu bestimmten Schutzimpfungen nicht erteilen.
135 https://www.familie.sachsen.de/7535.html (Abruf am 05.05.2018).
136 https://www.slfg.de/files/2016/12/FREUNDE-Broschuere_web.pdf (Abruf am 05.04.2018).
137 http://www.schatzsuche-kita.de/index.php?id=146 (Abruf am 05.04.2018).
138 http://www.kinder-staerken-sachsen.de/ (Abruf am 05.04.2018).
139 https://www.vernetzungsstelle-sachsen.de/die-vernetzungsstelle-2/ (Abruf am 05.04.2018).