Fallzahlen vor dem Hintergrund der Bevölkerungsentwicklung in Sachsen
Die Zahl der Bevölkerung je Landkreis und Kreisfreier Stadt steht in keinem direkten Zusammenhang mit den Fallzahlen der Suchthilfe (Abbildung 8-29). So zeigt sich hinsichtlich des regionalen Fallaufkommens, dass die bevölkerungsstärksten Regionen nicht zwingend das höchste Fallaufkommen aufwiesen. Während in der Stadt Leipzig als bevölkerungsstärkster Region sowie in Chemnitz als drittgrößter Stadt Sachsens mit einer mittleren Bevölkerungszahl auch ein hohes Fallaufkommen in ambulanten Suchthilfeeinrichtungen vorlag, fand sich in Dresden als Stadt mit der zweitgrößten Bevölkerungszahl ein relativ geringes Fallaufkommen. Analysen nach Altersquotienten beziehungsweise Jugendquotienten und Diagnosen (Alkohol, F10 und Stimulanzien, F15) zeigen ebenfalls keine Zusammenhänge. So sind die Fallzahlen alkoholbezogener Störungen (F10) in Abhängigkeit mit der Zunahme Älterer in der Bevölkerung nicht gestiegen. Ebenso wenig sind die Fallzahlen stimulanzienbezogener Störungen (F15) mit der Zunahme Jüngerer in der Bevölkerung gestiegen (Daten nicht dargestellt).
Dies spricht insgesamt dafür, dass die Höhe des Fallaufkommens nicht unbedingt mit der Zahl der Gesamtbevölkerung korreliert und nicht davon auszugehen ist, dass ein fester Prozentsatz der Bevölkerung suchtbezogene Hilfe in Anspruch nimmt. Unterschiede im Fallaufkommen sind bedingt durch unterschiedlich ausgeprägte Problematiken (Kapitel Überblick über regionale Besonderheiten) in Verbindung mit Unterschieden im Versorgungsangebot. Eindeutige Stadt-Land-Unterschiede konnten (vermutlich auch aufgrund des flächendeckenden Versorgungsangebots) im Fallaufkommen ebenso wenig beobachtet werden. Vielmehr schienen Besonderheiten der einzelnen Regionen eine Rolle zu spielen. So kam etwa der Stadt Leipzig mit einem Anteil von 11 Prozent Hauptdiagnosen Opioide eine Sonderstellung zu, während das hohe Fallaufkommen im Vogtlandkreis vermutlich durch die erhebliche Stimulanzienproblematik bedingt ist. Für die Klärung eines Zusammenhanges zwischen der Zusammensetzung der Bevölkerung, wie beispielsweise einem hohen Anteil Älterer oder Jüngerer, und der jeweiligen Suchtbelastung durch eine bestimmte psychoaktive Substanz bedarf es regionaler Schätzungen zum Umfang der von Suchtproblemen Betroffenen und nicht nur der Hilfesuchenden, das heißt der Klientel der ambulanten Suchthilfe.
Bevölkerungsbewegungen sind mit einer Reihe von Veränderungen verbunden. Beispielsweise verändert sich durch den Zuzug junger Erwachsener oder Personen anderer Kulturkreise die demografische Struktur der Bevölkerung. Dies kann auch zu Veränderungen in der Suchtbelastung führen. Beispielsweise wird in Gebieten mit Abwanderung insbesondere der jungen Bevölkerung durch den überwiegenden Verbleib der älteren Population, die in der Regel eine höhere Belastung mit Alkoholproblemen aufweisen, die Belastung je 100.000 Einwohner alleine durch den Wegzug eines hohen Anteiles der Bevölkerung mit einer eher geringeren Alkoholbelastung steigen. Zur Prüfung, ob dieser Zusammenhang auch hinsichtlich der Nachfrage nach Suchthilfe besteht, wurde ein Index der Bevölkerungsentwicklung gebildet. Dieser Index stellt die Differenz des Bevölkerungsumfanges zwischen 2008 und 2015 ins Verhältnis zur Bevölkerungszahl im Jahr 2015.233 Damit wird die Zu- beziehungsweise Abnahme der Bevölkerungszahl auf die Gesamtbevölkerungszahl einer Region bezogen. Das gleiche Verfahren, das heißt die Differenz der altersstandardisierten Fallzahl je 100.000 Einwohner im Verhältnis zur Fallzahl im Jahr 2015, wurde für die Klientel der ambulanten Suchthilfe angewendet.234 Dieser Index entspricht der positiven oder negativen Entwicklung der Anzahl der Fälle in ambulanter Suchthilfe. Wie sich in Abbildung 8-30 zeigt, korrespondiert die Höhe der Zu- oder Abnahme der altersstandardisierten Fallzahlen nicht mit der Änderung des Bevölkerungsindex. So wies der Landkreis Görlitz mit einer relativ hohen Abwanderung erwartungsgemäß die geringste relative Zunahme der Fallzahlen auf, während die Städte Dresden und Leipzig mit einem positiven Bevölkerungsindex vergleichsweise ähnliche oder geringere Zunahmen der Fallzahlen hatten wie Landkreise mit einem negativen Bevölkerungsindex. In der Stadt Chemnitz gab es als einziger Region eine Abnahme der Fallzahlen trotz eines geringen Bevölkerungszuwachses. Wie bereits erwähnt gilt auch hier, dass die Nachfrage nach Suchthilfe kein guter Indikator für die Suchtbelastung in der Bevölkerung ist und die Richtung und Stärke des Zusammenhangs zwischen Suchtbelastung und Bevölkerungsentwicklung in Sachsen auf regionaler Ebene nicht beantwortet werden kann.
In Bezug auf die Geschlechterverteilung zeigte sich entgegen dem stark abnehmenden Frauenanteil (1964: 55%; 2015: 51%; Kapitel Demografie) in der sächsischen Allgemeinbevölkerung in der ambulanten Suchthilfe eine leichte Zunahme des Frauenanteiles. Zwar machten Männer in Sachsen, wie auch in Deutschland, mit mehr als 70 Prozent an allen suchtbezogenen Diagnosen immer noch den Großteil der Suchthilfeklientel aus, jedoch ist der Frauenanteil in den letzten Jahren (2008 bis 2015) in fast allen Landkreisen und Kreisfreien Städten in Sachsen leicht gestiegen. Dies ist vermutlich bedingt durch die starke Zunahme der Hauptdiagnose Stimulanzien, bei der Frauen überrepräsentiert waren. Somit vollzieht sich auch die Entwicklung der Geschlechterverteilung in der Suchthilfe unabhängig von der Entwicklung in der Gesamtbevölkerung und scheint eine tatsächliche Zunahme hilfesuchender Frauen abzubilden.
Neben dem Bevölkerungsrückgang zwischen 1990 und 2015 (mit einem leichten Anstieg in den Jahren 2014 und 2015) zeigte sich in Sachsen in den Jahren 1990 bis 2015 auch eine Alterung der Bevölkerung, was zu einem deutlich höheren Altenquotienten und einem geringeren Jugendquotienten im Jahr 2015 im Vergleich zu 1990 führte (siehe Kapitel Demografie). Die demografische Entwicklung in den einzelnen Landkreisen und Kreisfreien Städten spiegelt sich in der Altersverteilung der Klientel in den Regionen wider. Generell zeigte sich in der Suchthilfe ein leichter Trend hin zu einer älter werdenden Klientel, insbesondere für die Hauptdiagnosen Alkohol, Stimulanzien und Opioide.
Im regionalen Vergleich weist die Bevölkerungsstatistik Sachsens für Leipzig und Dresden einen etwas höheren Anteil an jungen Personen und einen etwas geringeren Anteil an älteren Personen auf als zum Beispiel für den Vogtlandkreis und den Landkreis Görlitz. Die Diskrepanz des Altenquotienten zwischen den Landkreisen und Kreisfreien Städten (siehe Kapitel Demografie) zeigt sich gleichermaßen auch unter der Suchthilfeklientel. Insbesondere in den großen Kreisfreien Städten Dresden und Leipzig (aber auch dem Landkreis Meißen) lag der Altersdurchschnitt der Klienten unter dem Landesdurchschnitt, wohingegen der höchste Alterswert im Landkreis Görlitz vorzufinden war. Das Durchschnittsalter der Klientel im Vogtlandkreis und in den Landkreisen Bautzen, Mittelsachsen, Nordsachsen, Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, Leipzig und Zwickau lag ebenfalls über dem Landesdurchschnitt. Eine Ausnahme stellte die Stadt Chemnitz dar: Während die Suchthilfeklientel hier auch, vergleichbar zu den Städten Dresden und Leipzig, deutlich jünger war, war der Altersdurchschnitt der Allgemeinbevölkerung wesentlich höher und vergleichbar mit den ländlicheren Regionen. Betrachtet man die Hauptdiagnoseverteilung in den einzelnen Regionen, so fällt auf, dass in allen Landkreisen und Kreisfreien Städten mit einem niedrigeren Altersdurchschnitt hohe Anteile an Stimulanzien- und Cannabinoid-Diagnosen vorlagen, die in der Mehrzahl jüngere Personen betrafen. In den Regionen mit einem höheren Durchschnittsalter waren dagegen überproportional viele Alkoholdiagnosen dokumentiert, die mit einer eher älteren Klientel assoziiert sind. Die Altersverteilung der Klientel scheint regionale Unterschiede in der Allgemeinbevölkerung abzubilden, aber auch durch regionale Unterschiede in den Konsummustern und vorherrschenden Substanzproblematiken bedingt zu sein.
Im stationären Fallaufkommen entwickelten sich die Fallzahlen ebenso wie im ambulanten Bereich unabhängig von Veränderungen in der Allgemeinbevölkerung. In den Landkreisen mit einem niedrigeren Bevölkerungsanteil wie Mittelsachsen und Sächsische Schweiz-Osterzgebirge war ein geringeres Fallaufkommen zu beobachten. Am höchsten war das Fallaufkommen in der Stadt Leipzig, im Vogtlandkreis, dem Landkreis Zwickau sowie den Landkreisen Bautzen und Görlitz. Über die Jahre zeigten sich keine großen Veränderungen. In fast allen Landkreisen war ein eher steigender Trend zu verzeichnen. Ausnahmen stellten die Städte Chemnitz und Dresden dar.
Fußnoten
233 Formel: (N-Bevölkerung2015 - N-Bevölkerung2008) / N-Bevölkerung2015.
234 Formel: (N-Fallzahlen2015 - N-Fallzahlen2008) / N-Fallzahlen2015.