Merkmale der Inanspruchnahme von Hilfen
Vorbehandlungen
In Sachsen lag der Anteil an Erstbehandelten, das heißt Klientinnen und Klienten, die noch niemals zuvor suchtbezogene Hilfe in Anspruch genommen haben, höher als in Deutschland (Abbildung 8‑42). In den Jahren 2008 und 2015 war in Sachsen ein Anteil von etwa 47 Prozent beziehungsweise 48 Prozent Erstbehandelter zu beobachten. Der Ausreißer nach unten im Jahr 2012 (etwa 34%) ist auf die fehlenden Informationen aus den Städten Dresden und Leipzig sowie dem Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge in diesem Jahr zurückzuführen. In diesen Regionen war der Anteil Erstbehandelter mit bis zu drei Vierteln der Klientel generell am höchsten (2015).
In den meisten der anderen Landkreise und Kreisfreien Städte bewegte sich der Anteil Erstbehandelter um 30 bis 40 Prozent und lag damit in etwa auf Bundesniveau. Ein Ausreißer nach unten war hierbei der Landkreis Görlitz, bei dem seit 2008 ein stetig sinkender Anteil an Erstbehandelten zu verzeichnen war, der im Jahr 2015 bei etwa einem Viertel lag. In Zusammenhang mit der dort zu beobachtenden Entwicklung der Hauptdiagnosen und des Alters bei Betreuungsbeginn scheint die Klientel mit stimulanzienbezogenen Problemen hohe Wiederaufnahmequoten zu haben. Insgesamt kann man die Anteile der Erstbehandelten unter anderem als Ausdruck dessen betrachten, dass Menschen auch ohne entsprechende Vorerfahrung einen Zugang zum Hilfesystem finden. Andererseits zeigen hohe Wiederaufnahmequoten, dass Klientinnen und Klienten, die bereits Erfahrungen mit dem Suchthilfesystem haben, bei fortdauernden oder wiederauftretenden Problemen erneut Hilfe suchen.
Zugangswege zur Betreuung und Behandlung
Der häufigste Zugangsweg in die Suchthilfe war die Selbstmeldung, das heißt, Klientinnen und Klienten wurden ohne eine vermittelnde Stelle in der Suchthilfeeinrichtung vorstellig (Tabelle 8‑3). Der Anteil der Selbstmelder war in Sachsen mit 36 Prozent (2015) insgesamt etwas geringer als in Deutschland (2015: 43%). In beiden Fällen besteht aber eine steigende Tendenz (2008: Sachsen 25%; Deutschland 35%).
Die Vermittlung in die Suchthilfe durch ARGE oder Job-Center war in Sachsen prozentual häufiger der Fall als in Deutschland insgesamt. Die Häufigkeit hat allerdings in Sachsen und in Deutschland über die Jahre abgenommen. Diese beiden Befunde spiegeln das Vorkommen von arbeitslosen Klientinnen und Klienten gut wider. Dieses war in Sachsen höher als in Deutschland, hat aber über die Jahre abgenommen (siehe Soziodemografische und störungsbezogene Merkmale). Insgesamt sprechen die höheren sächsischen Zahlen für eine zielorientierte Vermittlungs- und Kooperationsarbeit zwischen Arbeits- und Suchthilfe.
Eine Vermittlung durch eine ärztliche oder psychotherapeutische Praxis fand in Sachsen seltener statt als in Deutschland. Für diesen Befund gibt es keine Erklärung. Möglicherweise könnte ein Zusammenhang mit der beobachteten Veränderung der Klientel (Zusammensetzung von Diagnosen mit einer Zunahme des Anteiles an Hauptdiagnosen im Zusammenhang mit illegalen Substanzen) bestehen. Es wurden häufiger Personen mit Alkoholproblemen vermittelt und seltener Personen mit Problemen im Bereich illegaler Drogen.
Vermittlungen durch Einrichtungen der Jugendhilfe kamen im Jahr 2015 in Sachsen bei Frauen doppelt so häufig vor wie in Deutschland. Der Anteil ist im Beobachtungszeitraum deutlich gestiegen (überproportional zu Deutschland; im Jahr 2008 für Frauen in Sachsen und Deutschland in etwa gleich). Die Vermittlung durch den Sozialdienst in Justizvollzugsanstalten/im Maßregelvollzug betraf dagegen häufiger Männer. Auch hier lag der Anteil für Sachsen über dem Bundesniveau und ist über die Jahre gestiegen. Hier sind geschlechtsspezifische Zusammenhänge zwischen Vermittlungsleistungen und Problemlagen naheliegend: Frauen, welche wahrscheinlicher aufgrund von Problemen mit ihren Kindern in der Jugendhilfe identifiziert werden, und Männer, die häufiger Rauschgiftdelikte aufweisen (siehe Straftaten in Zusammenhang mit psychotropen Substanzen).
Vermittlung durch | 2008 | 2012 | 2015 | |||
---|---|---|---|---|---|---|
Sachsen | Deutschland | Sachsen | Deutschland | Sachsen | Deutschland | |
keine / Selbstmelder | 25,0 | 34,7 | 35,0 | 40,0 | 36,4 | 42,4 |
Familie | 11,1 | 9,2 | 9,2 | 8,5 | 8,6 | 8,4 |
Arbeitgeber / Betrieb / Schule | 2,1 | 3,5 | 2,1 | 2,5 | 1,8 | 2,1 |
ärztliche / psychotherapeutische Praxis | 5,9 | 8,3 | 5,1 | 7,9 | 3,6 | 6,9 |
SBB / Institutsambulanz | 3,1 | 3,2 | 4,9 | 3,1 | 4,7 | 3,7 |
Krankenhaus(abteilung) | 13,2 | 9,1 | 8,9 | 8,1 | 8,6 | 8,1 |
teil- und stationäre Rehabilitationseinrichtung, Adaptation | 2,3 | 4,2 | 2,5 | 5,1 | 3,2 | 4,6 |
Sozialdienst JVA / Maßregelvollzug | 1,8 | 1,5 | 3,3 | 1,8 | 4,5 | 1,7 |
Einrichtung der Jugendhilfe / Jugendamt | 1,7 | 1,5 | 2,6 | 2,3 | 4,8 | 2,7 |
ARGE / Job-Center | 10,7 | 5,1 | 6,7 | 3,2 | 5,6 | 2,3 |
Straßenverkehrsbehörde / Führerscheinstelle | 4,2 | 2,0 | 2,3 | 1,5 | 1,8 | 1,4 |
Justizbehörde / Bewährungshilfe | 8,1 | 8,0 | 5,8 | 7,4 | 5,8 | 7,4 |
andere | 10,7 | 9,8 | 11,6 | 8,7 | 10,6 | 8,1 |
Absolutzahl | 8.441 | 124.998 | 9.165 | 145.165 | 9.451 | 155.851 |
Betrachtet man die Zugangswege in die Suchtbehandlung nach den verschiedenen Hauptdiagnosegruppen, so fällt auf, dass bei Klienten mit der Hauptdiagnose Opioide der Anteil der Selbstmelder in Sachsen stärker gestiegen ist und im Jahr 2015 sogar höher war als in Deutschland. Im Geschlechtervergleich zeigen sich keine spezifischen Muster.
Naturgemäß war die Behandlung beziehungsweise Betreuung in den jeweiligen Einrichtungen, die am häufigsten in Anspruch genommen wurde, eine ambulante Suchtberatung (2008: 81%; 2012: 92%; 2015: 90%; die Zahlen für Deutschland lagen bei 85% bis 86%). Der Anteil ambulanter Entwöhnungsbehandlungen war in Sachsen mit 6 Prozent (2008) bis 7 Prozent (2012 und 2015) niedriger als in Deutschland (jeweils 10%). Dies dürfte mit der sächsischen Angebotsstruktur in Zusammenhang stehen, die ein Angebot ambulanter Rehabilitationsmaßnahmen (noch) nicht flächendeckend vorhält (siehe Kapitel Ambulante Suchthilfe).
Weitervermittlung in anschließende Behandlung
Eine Weitervermittlung in eine anschließende Behandlung kam in Sachsen wesentlich seltener vor als in Deutschland; lediglich in der Stadt Chemnitz und im Landkreis Nordsachsen waren die Weitervermittlungsraten vergleichsweise hoch (Abbildung 8‑43), ohne dass sich hierfür naheliegende Begründungen erschließen würden.
Hauptsächlich vermittelt wurde, wie in Deutschland auch, in stationäre Rehabilitationseinrichtungen, wobei in Sachsen über die Jahre ein steigender Trend zu beobachten ist (Abbildung 8‑44). Am zweithäufigsten wurde in Beratungs-, Behandlungsstellen oder Fachambulanzen vermittelt. Die Vermittlung in eine ärztliche/psychotherapeutische Praxis hat zwischen 2008 und 2015 abgenommen, wobei Frauen generell häufiger an diese Stelle weitervermittelt wurden. Dies ist über die generelle geschlechtsspezifische Verteilung von psychischen Störungen und den Komorbiditäten bei substanzbezogenen Störungen zu erklären. Frauen sind häufiger von diesen betroffen und werden somit auch häufiger an spezifische Behandlungsangebote (zum Beispiel psychotherapeutische Praxen) weitervermittelt.
Die Vermittlung in Selbsthilfegruppen ist in Sachsen im Beobachtungszeitraum gesunken, was gegenläufig zum Bundestrend ist.238 Deutschlandweit wurde in Sachsen am zweithäufigsten in Selbsthilfegruppen weitervermittelt (am häufigsten in die stationäre Rehabilitation). In den Landkreisen Zwickau, Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, Mittelsachsen, Bautzen und Leipzig sowie der Stadt Leipzig lagen die üblichen Vermittlungsquoten vor. Im Gegensatz dazu war im Landkreis Görlitz und der Stadt Chemnitz eine Abnahme der Weitervermittlung in Selbsthilfegruppen zu beobachten.
Inanspruchnahme und Betreuungsergebnisse
Kontaktzahlen (Anzahl der Kontakte zwischen Mitarbeitenden in der Suchtberatungsstelle und Klientin oder Klient) und Betreuungsdauer (Anzahl der Tage zwischen erstem und letztem Kontakt) sind häufig gleichläufig (Abbildung 8‑45 und Abbildung 8‑46). Während die durchschnittliche Zahl von Kontakten pro Fall in Sachsen etwa der in Deutschland entsprach, war die durchschnittliche Betreuungsdauer in Sachsen etwas länger als in Deutschland. Frauen wurden mit durchschnittlich 325 Tagen im Schnitt 35 Tage länger betreut als Männer (2015). Dabei nahmen Frauen mit 16 Kontakten im Durchschnitt nur einen Kontakt mehr in Anspruch als Männer.
Zwischen den Geschlechtern gab es in Bezug auf einzelne Hauptdiagnosen keine wesentlichen Unterschiede in der Betreuungsdauer. Bei den Hauptdiagnosen Alkohol und Opioide lagen mit durchschnittlich 17 beziehungsweise 22 Kontakten und 317 beziehungsweise 508 Tagen die längsten Betreuungen vor (2015). Dies entsprach der durchschnittlichen Betreuungsfrequenz und -dauer in Deutschland. Die Behandlungsdauer bei der Hauptdiagnose Stimulanzien war im Landesdurchschnitt eine der längsten (durchschnittlich 12 Kontakte, 234 Tage) und erreichte in einigen Regionen, zum Beispiel im Landkreis Bautzen, beinahe die der Fälle mit der Hauptdiagnose Alkohol oder übertraf sie wie im Landkreis Görlitz (257 Tage bei der Hauptdiagnose Stimulanzien, 244 Tage bei der Hauptdiagnose Alkohol).
Besonders lange Betreuungsdauern, unabhängig von der Hauptdiagnose, lagen im Jahr 2015 im Vogtlandkreis und in den Landkreisen Nordsachsen, Leipzig und Mittelsachsen vor. Besonders kurze Betreuungsdauern fanden sich in den Städten Chemnitz und Dresden sowie den Landkreisen Sächsische Schweiz-Osterzgebirge und Meißen (Abbildung 8‑46). Entsprechend war innerhalb Sachsens die geringste Anzahl an Kontakten in Chemnitz zu beobachten, die stärkste Abnahme an Kontakten ließ sich im Landkreis Meißen beobachten (Abbildung 8‑45).
Als Indikatoren für den Betreuungs- beziehungsweise Behandlungserfolg wird zum einen die Dokumentation des Betreuungs-/Behandlungsergebnisses durch die Therapeuten herangezogen. Das dokumentierte Ergebnis beruht auf einer subjektiven Einschätzung durch die Behandelnden und nicht notwendigerweise auf einer strukturierten Diagnostik. Zum anderen wird die Planmäßigkeit der Beendigung der Betreuung/Behandlung erfasst. Als planmäßige Beendigung (sogenannte Haltequote) wird eine reguläre oder auf therapeutische Veranlassung beziehungsweise eine mit therapeutischem Einverständnis vorzeitige Beendigung oder der planmäßige Wechsel in eine andere Einrichtung gewertet. Unter unplanmäßiger Beendigung werden ein Abbruch durch die Klientin oder den Klienten, eine disziplinarische Beendigung oder ein außerplanmäßiger Wechsel in eine andere Einrichtung sowie der Tod der Klientin oder des Klienten verstanden.
In Sachsen war der Anteil planmäßiger Beendigungen in den Jahren 2008, 2012 und 2015 mit jeweils 53 Prozent deutlich niedriger als in Deutschland (2008: 61%; 2012: 62%; 2015: 64%).239 Bei der Hauptdiagnose Alkohol war der Anteil an planmäßigen Beendigungen mit 55 Prozent höher als bei Opioiden, Cannabinoiden und Stimulanzien (2015: 47%, 48%, 49%). Bei teilweise großen regionalen Schwankungen waren über die betrachteten Jahre die geringsten Anteile an regulärer Beendigung in den Landkreisen Leipzig und Sächsische Schweiz-Osterzgebirge sowie in den Städten Dresden und Leipzig zu beobachten. Im Erzgebirgskreis (62%) und in den Landkreisen Meißen (67%) und Zwickau (60%) hingegen war der Anteil für 2015 vergleichbar mit dem Anteil auf Bundesebene (64%).
Es besteht ein Zusammenhang zwischen der Planmäßigkeit der Beendigung einer Betreuung und dem Betreuungsergebnis in Bezug auf die Problematik. Positive Ergebnisse (positiv heißt abstinent oder gebesserte Problematik bei Betreuungsende im Vergleich zum Betreuungsbeginn) überwogen bei planmäßig beendeten Betreuungen, während bei unplanmäßigen Beendigungen negative Betreuungsergebnisse (das heißt unveränderte oder verschlechterte Problematik bei Betreuungsende im Vergleich zum Betreuungsbeginn) häufiger waren (Abbildung 8‑47). In Sachsen und Deutschland zeigten sich im Beobachtungszeitraum etwa die gleichen Muster. Dabei war in Sachsen ein leichter Rückgang der positiven Betreuungsergebnisse in den meisten größeren Hauptdiagnosegruppen zu beobachten (Alkohol, Stimulanzien, Cannabinoide, Opioide).
In den Landkreisen Meißen und Nordsachsen überwog bei den planmäßigen Beendigungen eine unveränderte Problematik bei Betreuungsende. Im Landkreis Meißen ist dieser Befund vermutlich mit dem hohen Aufkommen an Fällen mit stimulanzienbezogenen Störungen zu erklären, welche, unabhängig von der Art der Beendigung, insgesamt weniger positive Betreuungsergebnisse aufweisen (2008: 68%; 2015: 55%).
In der Stadt Dresden fanden sich bei einem eher niedrigen Anteil an planmäßigen Beendigungen (2015: 46%) generell relativ hohe Anteile an positiven Ergebnissen, sowohl bei planmäßiger (2015: 86%) als auch bei unplanmäßiger Beendigung (2015: 52%).
Fußnoten
238 Laut Information des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Verbraucherschutz gab es in Sachsen im Jahr 2012 etwa 351 Selbsthilfegruppen mit Bezug zu Alkohol und 97 Gruppen mit Bezug zu illegalen Drogen.
239 DSHS, 2008, 2012, 2015, Tabelle 6.02 Art der Beendigung nach Hauptdiagnose und Geschlecht.