Gesundheitsunterschiede bei Mann und Frau
Obwohl sich Mann und Frau in vielerlei Hinsicht gleichen, haben aber unterschiedliche Biologie und Verhalten einen bedeutenden Einfluss auf ihre gesundheitliche Lage. Die offensichtlichsten biologischen Unterschiede betreffen Fortpflanzungsorgane, Hormone, Chromosomen und den Anteil von Körperfett (Regitz-Zagrosek, 2012). Es wird beispielsweise davon ausgegangen, dass der Östrogenspiegel bei Frauen bis zum Einsetzen der Menopause eine protektiven Vorteil gegenüber Herz-Kreislauf-Erkrankungen bietet (Yang und Kozloski, 2012). Schätzungen gehen davon aus, dass biologisch-genetische Ursachen lediglich ein Jahr der Differenz der Lebenserwartung von Mann und Frau erklären (Luy, 2009).
Neben unterschiedlicher Biologie gilt das Geschlecht als einer der wichtigsten soziokulturellen Einflussfaktoren auf Gesundheit und Gesundheitsverhalten. In westlichen Ländern werden Durchsetzungsvermögen, Dominanz, Kontrolle, körperliche Stärke und emotionale Zurückhaltung ebenso mit dem Begriff der Männlichkeit verbunden wie das stoische Ertragen von Schmerz und erhöhte Risikobereitschaft (Evans et al., 2011). Unterschiede in der Risikobereitschaft zeigen sich beispielsweise bereits in der Jugend, da Jungen häufiger verletzungsträchtigere Sportarten wie Fußball betreiben als Mädchen (Habelt et al., 2011).
Riskantes Gesundheitsverhalten wird eher mit Männlichkeit assoziiert, gesundheitsförderliches Verhalten eher mit weiblicher Fürsorge. Auch gelten Frauen als weniger zögerlich als Männer, wenn es darum geht, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen, sofern diese notwendig ist (Courtenay, 2000). In diesem Zusammenhang wird in der Forschung diskutiert, ob höhere Suizidraten unter Männern darauf zurückzuführen sind, dass Männer schlechter in der Lage sind, die Symptome einer eigenen Depression zu erkennen beziehungsweise anzuerkennen (Evans et al., 2011). Befragungen in Deutschland haben auch gezeigt, dass Männer weniger gut über die Symptome eines Herzinfarktes informiert waren als Frauen (RKI, 2014).
Geschlechtsspezifische Unterschiede manifestieren sich besonders anschaulich in der unterschiedlichen Lebenserwartung (siehe auch Kapitel Kennzahlen zur Lebenserwartung, Sterblichkeit und Krankheitslast). Im Jahr 2015 betrug die Differenz zwischen weiblicher und männlicher Lebenserwartung bei Geburt in Sachsen sechs Jahre (Frauen 83,6 Jahre; Männer 77,6 Jahre). Neutralisiert man den Einfluss einer unterschiedlichen Altersstruktur zwischen Mann und Frau in Sachsen, zeigt sich, dass die altersstandardisierten männlichen Mortalitätsraten in den häufigsten Hauptdiagnosegruppen deutlich über den weiblichen Raten liegen. Krankheiten des Kreislaufsystems und Krebs sind hierbei für den Großteil der Lebenserwartungsdifferenz verantwortlich. Abbildung 6‑93 veranschaulicht zudem, dass geschlechtsspezifische Unterschiede in der Sterblichkeit ein deutschlandweites Phänomen sind und dass die Sterblichkeitsraten sächsischer Männer in den fünf häufigsten Todesursachen deutlich über dem Bundesdurchschnitt lagen.
Unterschiede in der Sterblichkeit zeigen sich bereits bei der Geburt. Altersstandardisiert kam es 2015 infolge von Totgeburt oder perinatalen Komplikationen bis zum siebten Lebenstag bei männlichen Neugeborenen zu 4,8 Todesfällen je 100.000 Einwohner, bei weiblichen Neugeboren zu 4,2 Todesfällen.
Unterschiede in der Gesundheitskompetenz (Health Literacy), der Inanspruchnahme von Früherkennungsmaßnahmen sowie erhöhte Verletzungsgefahr durch risikoträchtigeres Verhalten erklären nur zum Teil die höhere Sterblichkeit von Männern. Entscheidend sind auf Bevölkerungsebene die vermeidbaren Risikofaktoren Rauchen, Alkohol und Ernährung. Zudem sind Männer in ihren Berufen einem höheren gesundheitlichen Risiko ausgesetzt als Frauen. Im Folgenden wird der Einfluss dieser Risikofaktoren auf die männliche sächsische Bevölkerung geschildert.
Risikofaktoren sind Einflüsse, die die Wahrscheinlichkeit für den Erwerb einer Erkrankung oder Verletzung erhöhen. In der wissenschaftlichen Literatur und auch in diesem Bericht werden Risikofaktoren zumeist einzeln aufgeführt, in der Praxis treten sie oft in Kombination auf. Rauchen und übermäßiger Alkoholkonsum werden heutzutage mit einem ungesunden Lebensstil assoziiert. Studien zeigen, dass Raucher häufiger trinken als Nicht-Raucher (Britt und Bonci, 2013). Gesundheitliche Risikofaktoren sind zwischen Mann und Frau ungleich verteilt und treten zudem häufig bei Personen mit niedrigerem sozialem Status auf.
Risikofaktor Rauchen
Im Jahr 2013 lag der Anteil an Rauchern in der sächsischen Bevölkerung bei 22,7 Prozent.171 Unter Männern war er fast doppelt so hoch wie unter Frauen (Männer 29,3%; Frauen 16,6%). Dieser Geschlechterunterschied zeigte sich in allen Altersklassen (Abbildung 6‑94). Bei beiden Geschlechtern sank der Anteil der Raucher allerdings: von 2005 bis 2013 unter Männer um 7,6 Prozent und unter Frauen um 6,2 Prozent.
Der Anteil von Rauchern nahm in den Altersgruppen mit zunehmendem Alter ab, sei es durch freiwilligen oder krankheitsbedingten Rauch-Stopp oder durch Tod. Der Raucheranteil unter 15- bis 19-Jährigen sank in Sachsen bei jungen Männern deutlich von 32,1 Prozent im Jahr 2005 auf 18,8 Prozent in 2013 und bei jungen Frauen von 25,4 auf 15,6 Prozent. Männer beginnen früher mit dem Rauchen: Das durchschnittliche Alter des Rauchbeginnes lag 2013 in Sachsen bei jungen Männern bei 17,9 Jahren und bei jungen Frauen bei 18,9 Jahren. Das Alter bei Rauchbeginn war in den jüngeren Altersgruppen niedriger als in den höheren (Abbildung 6‑95). Besonders deutlich ist die Differenz zwischen Alt und Jung bei Frauen. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass ältere Frauen mit frühzeitigem Rauchbeginn zum Befragungszeitpunkt bereits häufiger verstorben waren als Frauen mit spätem Rauchbeginn. Dies könnte zu einer Verzerrung der dargestellten Unterschiede geführt haben.
Trotz der rückläufigen Entwicklung des Raucheranteiles unter jüngeren Menschen ist festzustellen, dass 2013 noch immer fast 40 Prozent der Männer und mehr als jede vierte Frau im Alter von 15 bis unter 45 Jahren rauchten. Nach Daten des telefonischen Gesundheitssurveys Gesundheit in Deutschland aktuell (GEDA) des Robert Koch-Institutes lag die Raucherprävalenz in der sächsischen Bevölkerung im Befragungszeitraum 2014/2015 bei 21,0 Prozent. 46,7 Prozent gaben an, nie in ihrem Leben geraucht zu haben und 28,4 Prozent waren ehemalige Raucher. Ergebnissen des Mikrozensus172 zufolge sind 14,8 Prozent der Frauen regelmäßige Raucher und 3,6 Prozent gelegentliche Raucher, während Männer sowohl häufiger regelmäßig (26,4%) als auch gelegentlich (4,8%) rauchen. Diese Daten beziehen sich auf das Jahr 2013.
Rauchen gilt als der größte identifizierbare Einzelfaktor, der Unterschiede in der Sterblichkeit zwischen Mann und Frau erklärt (Alberts et al., 2014). Rauchen steigert das Erkrankungsrisiko bei einer Vielzahl von Krankheiten, die häufig tödlich enden. Die meisten Todesfälle im Zusammenhang mit Tabakkonsum gehen auf Krebserkrankungen, allen voran Lungenkrebs, Krankheiten des Atemsystems, hier besonders die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (engl. chronic obstructive pulmonary disease – COPD) und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, insbesondere die ischämische Herzkrankheit, zurück. Rauchen erhöht die Gefahr eines Schlaganfalles, beeinträchtigt die Fruchtbarkeit von Mann und Frau und kann bei Schwangerschaft zur Unterentwicklung der Föten und weiteren Komplikationen führen. Rauchen gilt ebenfalls als Risikofaktor für Alzheimer und vaskuläre Demenz (West, 2017). Das Aufgeben von Rauchen schützt nicht vor den gesundheitlichen Konsequenzen eines langjährigen Tabakkonsums, aber ein Rauchstopp bietet in jedem Alter unmittelbare gesundheitliche Vorteile. Studienergebnissen zufolge besteht bei einem Rauchstopp vor dem 35sten Lebensjahr nur ein geringer Unterschied zur Lebenserwartung von lebenslangen Nichtrauchern. Im höheren Alter halbiert sich das zusätzliche Risiko für einen Herzinfarkt, das durch Rauchen entsteht, innerhalb von zwölf Monaten nach einem Rauchstopp. Sofortiger Rauchstopp verhindert zudem, dass das bestehende Krebsrisiko noch weiter ansteigt (West, 2017).
Der sozioökonomische Status beeinflusst die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person raucht. Die Rauchprävalenz unter Personen mit niedrigerem sozioökonomischem Status ist höher als bei Personen mit hohem Status. Personen mit niedrigem Einkommen und Bildung gelingt es auch seltener mit dem Rauchen aufzuhören (Hiscock et al., 2015). Tabelle 6‑8 zeigt Ergebnisse der GEDA-Studie des Robert Koch-Institutes zum Rauchverhalten unter der deutschen Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter von 18 bis 65 Jahren nach Bildungsgruppe. Neben dem beschriebenen Geschlechterunterschied zeigt sich deutlich die höhere Raucherprävalenz in der unteren Bildungsgruppe, in der zugleich der Anteil ehemaligen Raucher niedriger als in der mittleren und oberen Bildungsgruppe ist.
Bildungsgruppen | Weiblich in % | Männlich in % | ||||
---|---|---|---|---|---|---|
Raucher (täglich oder gelegentlich) | Ehemalige Raucher | Nie-Raucher | Raucher (täglich oder gelegentlich) | Ehemalige Raucher | Nie-Raucher | |
Untere Bildungsgruppe | 35,4 | 17,4 | 47,2 | 42,9 | 20,7 | 36,4 |
Mittlere Bildungsgruppe | 30,8 | 21,4 | 47,8 | 39,6 | 25,4 | 35,0 |
Obere Bildungsgruppe | 21,2 | 23,9 | 54,9 | 25,2 | 28,2 | 46,5 |
Wie beschrieben (siehe Lungenkrebs im Kapitel Krebs im mittleren Alter) hat in westlichen Industrieländern der Tabakkonsum von Frauen zugenommen. Infolgedessen steigen die Neuerkrankungsraten an Lungenkrebs bei Frauen. Auch wenn weiterhin mit einer Angleichung der Erkrankungsraten infolge von Tabakkonsum zu rechnen ist, spricht dennoch die höhere Raucherprävalenz von Männern dafür, dass sie auch in absehbarer Zukunft den größeren Teil der durch Rauchen verursachten Krankheitslast tragen müssen.
Risikofaktor Alkohol
Das Trinken von Alkohol ist weltweit fester Bestandteil vieler Kulturen. Übermäßiger oder krankhafter Konsum von Alkohol ist ein bedeutender Risikofaktor vieler Erkrankungen. Infektionskrankheiten, Krebs, Diabetes, psychische und Verhaltensstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen der Leber und des Pankreas sowie vorsätzliche und unvorsätzliche Verletzungen werden ursächlich mit schädlichem Alkoholkonsum in Verbindung gebracht (Rehm, 2011). Nach Angabe der WHO liegt die vom Alkoholkonsum hervorgerufene Krankheitslast in Hocheinkommensländern nach Tabakkonsum auf dem zweiten Rang (WHO, 2009). Alkoholkonsum ist nur selten unmittelbare Todesursache. Der Einfluss von schädlichen Alkoholkonsum auf die Entwicklung von chronischen Erkrankungen lässt sich aus Routinedaten allein nicht erschließen. Ebenso wenig ist es möglich, das volle Maß der Auswirkungen, die Alkoholkonsum auf andere haben kann, zu quantifizieren. Dies gelingt nur für alkoholbedingte Unfälle (Abbildung 6‑98). Die Erfassung der seelischen Belastung für Angehörige, von Gewalt oder der Schädigungen, die durch Alkoholkonsum während der Schwangerschaft auftreten, liegt jenseits des Darstellungshorizontes von Routinedaten. Die diesem Bericht zugrundeliegenden Daten lassen höchstens erahnen, welche gesundheitliche Belastung den Betroffenen, deren Angehörigen und der sächsischen Gesellschaft durch schädlichen Alkoholkonsum entsteht. Sie zeigen jedoch eines deutlich: Männer sind davon besonders betroffen.
Wie beim Rauchen beeinflusst der sozioökonomische Status (SoS) auch den Alkoholkonsum. Bemerkenswert ist jedoch, dass Personen mit hohem SoS mehr oder zumindest genauso viel Alkohol wie Personen mit niedrigem SoS trinken, aber weniger unter den gesundheitlichen Folgen zu leiden scheinen (Collins, 2016). Befragungen im Zuge von Gesundheit in Deutschland aktuell (GEDA) durch das Robert Koch-Institut belegen dies für die Prävalenz von riskantem Alkoholkonsum in Deutschland (Abbildung 6‑96). Demnach kam schädlicher Alkoholkonsum unter Angehörigen der unteren Bildungsgruppe seltener vor als in der mittleren oder oberen Gruppe. Dieser Zusammenhang gilt insbesondere bei Frauen.
Wie bereits geschildert (Abbildung 6‑56) ging der Großteil von Krankenhausfällen aufgrund psychischer Störungen auf Alkoholkonsum zurück. Der Anteil war dabei bei Männern deutlich höher als bei Frauen. Ein vergleichbares Phänomen zeigte sich bei Erkrankungen der Leber (K70-K77). Von den rund 3.860 männlichen und 1.950 weiblichen Krankenhausfällen dieser Diagnose, entfielen bei Männern 63,4 und bei Frauen 34,8 Prozent der Fälle auf die sogenannte alkoholische Leberkrankheit. Bei dieser Erkrankung kommt es infolge jahrelangen Alkoholkonsums zur fortschreitenden Schädigung der Leberzellen, die sich von der Entwicklung einer Fettleber bis hin zur Leberzirrhose erstrecken kann. Abbildung 6‑97 zeigt die Entwicklung von Diagnosen alkoholischer Leberkrankheit, die seit 2003 weitgehend konstant verlief. Altersstandardisiert wurde eine alkoholische Leberkrankheit bei sächsischen mehr als dreimal so häufig diagnostiziert wie bei Frauen und circa 1,7-fach so häufig wie bei Männern im Bundesdurchschnitt. Männer in Sachsen sind somit besonders gefährdet. Deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede zeigen sich auch in Bezug auf die Suchthilfe in Sachsen, bei der Männer rund drei Viertel der Suchthilfeklientel ausmachen. In Kapitel Überblick über geschlechtsspezifische Besonderheiten wird diese Thematik eingehender betrachtet.
Die Zahl der Personenschäden im Straßenverkehr, die unter Alkoholeinfluss verursacht wurden, hat sich von 2000 bis 2015 halbiert (Abbildung 6‑98). Die vorliegenden Daten erlauben leider keine Aussagen zu Alters- und Geschlechtsverteilung, bescheinigen aber einen großen präventiven Erfolg und ein Umdenken im Fahrverhalten.
Risikofaktor Arbeitsplatz
Erwerbstätige Frauen und Männer sind unterschiedlichen Risikofaktoren an ihren Arbeitsplätzen ausgesetzt. In Branchen mit risikoträchtigeren Tätigkeiten wie Baugewerbe, verarbeitendes Gewerbe und Produktion überwiegt der Anteil männlicher Erwerbstätiger (RKI, 2014). Dies veranschaulichen auch die anerkannten Berufskrankheiten in Sachsen. Die Zahl der Berufskrankheiten je 100.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte ging bei Männern im Zeitverlauf zurück, während sie bei Frauen auf konstantem und niedrigem Niveau verlief. Von den drei häufigsten anerkannten Berufskrankheiten bei Männern, der Lärmschwerhörigkeit, der Asbestose und der Silikose, waren Frauen im Jahr 2015 faktisch nicht oder nur in sehr geringem Umfang betroffen.
Männer gingen aus Krankheitsgründen etwas häufiger vorzeitig in Rente (419 Frauen gegenüber 432 Männern je 100.000 aktive Versicherte). Die unterschiedliche Entwicklung von Berufskrankheiten spiegelte sich dagegen nicht in der Teilnahme an Rehabilitationsmaßnahmen in Sachsen wider. 2015 nahmen altersstandardisiert rund 1.920 Frauen je 100.000 aktive Versicherte Rehabilitationsmaßnahmen wahr und nur 1.780 Männer. Auch bei den Arbeitsunfähigkeitsfällen waren die Zahlen bei Frauen höher (161,0 AU-Fälle je 100 weibliche GKV-Pflichtmitglieder gegenüber 145,6 männlichen AU-Fällen).
HIV
Der überwiegende Anteil an gemeldeten Erstdiagnosen von HIV (Humanes Immundefizienz-Virus) in Sachsen betraf Männer. Von insgesamt 190 Erstdiagnosen im Jahr 2015 waren 85,3 Prozent männliche Fälle (Frauen 14,7%). Die absoluten männlichen Erstdiagnosezahlen haben sich seit dem Jahr 2000 mehr als versechsfacht, während sie sich bei Frauen auf nahezu gleichbleibendem Niveau bewegen und erst 2015 den höchsten Stand seit 2000 erreichen. Bei den gemeldeten Erstdiagnosen handelt es sich nicht um Neuerkrankungen. Betroffene können schon längere Zeit unentdeckt mit einer HIV-Infektion gelebt haben, bis diese zum ersten Mal diagnostiziert wurde. Der Anstieg der Diagnosezahlen spiegelt zudem nicht zwangsläufig einen Anstieg der Neuerkrankungsrate wider. Dies kann nach Angaben des Robert Koch-Institutes auch darauf zurück gehen, dass sich die Hochrisikogruppe der Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), aufgrund verstärkter Aufklärungsarbeit häufiger einem HIV-Test unterziehen als früher (RKI, 2015). Im Jahr 2015 betrafen 66,7 Prozent der männlichen Erstdiagnosen MSM (Abbildung 6‑102). Bei rund einem Viertel (23,5%) der männlichen Erstdiagnosen gab es keine Angabe zum Infektionsrisiko.
Das Robert Koch-Institut schätzt, dass 2016 zwischen 2.400 und 2.900 Personen mit HIV in Sachsen lebten und dass es zwischen 150 und 200 HIV-Neuerkrankungen gab.173
Dank wirkungsvoller Medikamente, die die Vermehrung des HIV-Virus im Blut verhindern, können die meisten infizierten Menschen in Deutschland mit HIV leben, ohne an AIDS (Acquired Immune Deficiency Syndrome) zu erkranken. Die Medikamente müssen ein Leben lang eingenommen werden und können schwere Nebenwirkungen haben. Von AIDS spricht man, wenn das Immunsystem durch eine HIV-Infektion soweit geschädigt oder zerstört ist, dass der Körper anfällig gegenüber Erkrankungen wird, die im Normalfall unproblematisch verlaufen. Häufig erkranken AIDS-Kranke an Lungenentzündung und Pilzerkrankungen. Im Jahr 2015 waren vier Frauen und sechs Männer in Sachsen an AIDS erkrankt. Elf Männer und eine Frau verstarben 2015 an HIV-Erkrankungen inklusive AIDS.
Einsamkeit
Einsamkeit ist das empfundene Defizit an bedeutsamen zwischenmenschlichen Kontakten. Einsamkeit ist eine subjektive Empfindung, die stark von persönlicher, aber auch kultureller Bewertung abhängt. Einsamkeit ist nicht identisch mit objektiven Faktoren wie Alleinleben, Alleinsein oder gar Isolation, obwohl diese das Empfinden von Einsamkeit stark begünstigen. Im Umkehrschluss verhindern familiäre Einbindung und Partnerschaft nicht das Gefühl subjektiver Einsamkeit, machen es aber deutlich unwahrscheinlicher. Studienergebnisse zeigen, dass sich unverheiratete Personen häufiger einsam fühlen (Hawkley und Capitanio, 2015). Die Erfassung von Einsamkeit durch Befragungen stellt Studien vor die Herausforderung, wie dieses subjektive Empfinden adäquat erhoben werden soll. Einsamkeit wird von Betroffenen selbst häufig als Zeichen von Hilflosigkeit und Schwäche gewertet, da sie nicht der gesellschaftlichen Vorstellung einer sozialkompetenten Person entsprechen (Petrich, 2011). Scham- und Schuldgefühle können Befragte veranlassen, ihr Empfinden von Einsamkeit herunterzuspielen. Diejenigen Männer, die überhaupt angaben, sich einsam zu fühlen, könnten daher besonders schwer betroffen sein (Rico-Uribe et al., 2018).
Einsamkeit ist ein weltweit verbreitetes Problem unter der erwachsenen Bevölkerung. Die Studie von Hansen und Slagsvold (2016) geht davon aus, dass sich zwischen 10 und 20 Prozent der älteren Bevölkerung in Nord- und Westeuropa einsam fühlen. Die Studie sah zudem einen starken Zusammenhang von Einsamkeit mit sozialem Status, Gesundheit und Partnerlosigkeit. Befunde aus dem deutschen Alterssurvey (DEAS) zwischen 1996 und 2008 schätzen die Prävalenz von Einsamkeit bei Personen in der zweiten Lebenshälfte (40 bis 85 Jahre) auf 3 bis 7 Prozent (Tesch-Römer et al., 2013).
Die soziale und gesundheitliche Tragweite von Einsamkeit wurde jüngst durch die Errichtung eines Ministeriums für Einsamkeit in Großbritannien in den weltweiten Fokus gerückt.174 Einsamkeit ist nicht nur mit niedrigerem Wohlbefinden verbunden, sondern wirkt sich auch negativ auf den Gesundheitszustand und den Heilungsverlauf bei Erkrankungen aus.
Einsamkeit gilt als starker Prädiktor für psychische Leiden wie Depression und Angstzustände. Sie wird zudem mit chronischen Erkrankungen, wie zum Beispiel Herzerkrankungen, Bluthochdruck, Schlaganfall und Stoffwechselerkrankungen, in Zusammenhang gebracht (Petitte et al., 2015). In der Forschung wird auch diskutiert, ob Einsamkeit das Risiko für Stürze erhöht (siehe 6.5.3 Stürze bei Älteren) und ob Anti-Sturz-Trainings für Menschen in der zweiten Lebenshälfte zugleich eine wirksame Möglichkeit bieten kann, soziale Kontakte neu zu knüpfen (Hajek und König, 2017).
Einsamkeit tritt in jedem Alter, besonders aber unteren älteren Menschen, auf. Viele Faktoren, die als Risikofaktoren für soziale Isolation und Einsamkeit diskutiert werden, werden besonders mit höherem Lebensalter in Verbindung gebracht. Dazu gehören einschneidende Veränderungen im Leben wie der Verlust des Partners oder der Renteneintritt. Körperliche und geistige Gesundheit sowie Behinderung treten häufiger im Alter auf. Eng mit ihnen verbunden ist eine eingeschränkte Mobilität, die das Pflegen und Knüpfen von sozialen Kontakten ebenso erschwert wie Fahrunfähigkeit und schlechter Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln. Zugleich geht intergenerationelles Zusammenleben in Haushalten zurück. (Valtorta und Hanratty, 2012). In Sachsen führten 2015 ein Drittel der Senioren einen Single-Haushalt und fast zwei Drittel lebten zu zweit in einem Haushalt (Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, 2016).
Potenzielle Unterschiede von Risikofaktoren und Auswirkungen von Einsamkeit zwischen Männern und Frauen sind noch nicht vollständig untersucht. Aber Studienergebnisse deuten darauf hin, dass die Unterschiede bestehen. Diese Unterschiede betreffen nicht so sehr die Häufigkeit von Einsamkeit unter Männern und Frauen, sondern eher deren Fähigkeit damit umgehen zu können. So scheinen die gesundheitlichen Folgen von Verwitwung Männer etwas stärker zu treffen. Männer sind zögerlicher, wenn es darum geht, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Mit Verlust der Partnerin geht daher häufig auch ein Verlust an Gesundheitskompetenz einher (Rico-Uribe et al., 2018). Einsamkeit bei Männern wird zudem in stärkerem Zusammenhang mit Lebenszufriedenheit und Depression gesehen als bei Frauen (Zebhauser et al., 2014).
Eine deutsche Studie, die auf Daten der Gutenberg-Gesundheitsstudie von 2007 bis 2012 basiert (Beutel et al., 2017), ergab, dass 10,5 Prozent der Teilnehmer mindestens eine leichte Form von Einsamkeit verspürten. Einsamkeit wurde in den mittleren Lebensjahren stärker empfunden als im Alter, wenngleich die Studie nur Personen bis zum 74. Lebensjahr einschloss. Einsamkeit kam hier allerdings bei Frauen, Personen ohne Partner und Alleinlebenden stärker vor.
Die Ursachsen und Konsequenzen von Einsamkeit sind individuell und komplex. Möglichkeiten einsamen oder isolierten Personen zu helfen, könnten darin bestehen, ihnen Gelegenheiten zur sozialen Interaktion oder soziale Betreuung zu bieten.
Fußnoten
171 Ergebnisse der Mikrozensus bezogen auf Bevölkerung im Alter ab 15 Jahren.
172 Ergebnisse der Mikrozensus bezogen auf Bevölkerung im Alter von 18 bis 80 Jahren.
173 Robert Koch-Institut (Hrsg.): HIV/AIDS in Sachsen–Eckdaten der Schätzung. Epidemiologische Kurzinformation des Robert Koch-Instituts Stand: Ende 2016: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/H/HIVAIDS/Eckdaten/EckdatenSachsen.pdf?__blob=publicationFile (Abruf am 09.04.2018).
174 https://www.gov.uk/government/news/pm-commits-to-government-wide-drive-to-tackle-loneliness (Abruf am 10.04.2018).