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Daten für Taten

Sozialberichterstattung auf Landesebene und kommunale Berichterstattung

Der vorliegende Sozialbericht des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Verbraucherschutz zeigt die Grenzen einer auf Landkreisebene regionalisierten Sozialberichterstattung. Er lässt demografische und soziale Tendenzen erkennen und zeigt auf, wo detailliertere, weiterführende Analysen sinnvoll sind.

Deutlich wurde aber auch, dass die Landkreise, wie sie mit der Kreisreform339 zugeschnitten wurden, zu groß sind, um eine hinreichende Differenzierung der Berichterstattung zu erreichen und der Komplexität und Vielfalt der soziodemografischen Befunde gerecht zu werden.

Für die Sozialberichterstattung des Freistaates gilt wie für das Wohnungsbaumonitoring der Sächsischen Aufbaubank: »Wohnungsmärkte sind strukturell, vor allem aber auch regional sehr heterogen und lassen sich daher durch Verwaltungseinheiten wie Gemeinden oder Kreise nur unzureichend abbilden. Vielmehr müssen sie durch funktionale Verflechtungen regional erfasst werden. Besonders die infolge der sächsischen Kreisgebietsreform neu entstandenen Großkreise machten eine wohnungsmarktrelevante Gebietsabgrenzung notwendig. Wohnungsmarktanalysen auf der Ebene der neuen Kreise wären zu grob und würden nur ein unbefriedigendes Bild wiedergeben. Auch um unzutreffende Saldierungseffekte vermeiden zu können, bedarf es bei den Analysen eines regionalen Zuschnitts«.340

Unerwünschte Saldierungen lassen sich schön am Beispiel der Landkreise Nordsachsen und Leipzig darstellen: Abbildung 10-1 zeigt, dass beide einen relativ hohen Altenquotienten haben und Bevölkerung verlieren. Eine differenzierte Betrachtung ergibt aber, dass das Saldierungseffekte sind. Die Landkreisteile, die Leipzig direkt umfassen, profitieren vom enormen Wachstum dieser Metropole. Umso deutlicher fallen Bevölkerungsverluste in den weiter abseits gelegenen Landkreisgebieten aus. Dieser »Suburbanisierungseffekt« spiegelt sich in einer Vielzahl von anderen Indikatoren341 bis hin zu Alten- und Jugendquotienten.

Soll aber ein Sozialbericht zur Entscheidungsvorbereitung kommunaler Entscheidungsträger dienen und zugleich eine datenbasierte Evaluierung ermöglichen, so braucht es eine »hochauflösende« kommunale Sozialberichterstattung, die diese Saldierungseffekte vermeidet.

Ziele einer kommunalen Sozialberichterstattung – Kreisfreie Städte und Landkreise

Der Freistaat Sachsen kennt keine gesetzliche Verpflichtung, Sozialberichte zu erstellen. Daher gibt es auch keinen landkreisübergreifenden verbindlichen Indikatorenkatalog. Die vorliegenden Sozialberichte bzw. -reports und demografisch »angereicherte« Fachplanungen, zeigen aber ein deutliches Interesse daran, datenbasierte Entscheidungsgrundlagen zu generieren, tragfeste, demografisch abgesicherte Bedarfsprognosen zu erstellen und gegebenenfalls auch landkreisübergreifende Vergleiche und damit auch strategische Kooperationen noch gezielter in Angriff zu nehmen. Deutlich wurden aber auch die Grenzen der einschlägigen Leistungsfähigkeit vor allem bei den Landkreisen. Die Kreisfreien Städte mit ihren Ämtern für Statistik sind daher besser aufgestellt wie das Beispiel Leipzig zeigt342. Die folgenden Anregungen richten sich daher vornehmlich an die Landkreise.

Angesichts der sehr heterogenen »Berichtslage« bei den Landkreisen empfiehlt sich eine gestufte Implementierung. Folgende Aspekte sollten dabei berücksichtigt werden:

  • Verbündete im Landkreis finden: Eine leistungsfähige Sozialberichterstattung kann nicht top down implementiert werden – sie zu erstellen braucht immer Verbündete und breite Partizipation. Dies sind zum Beispiel die Fachplaner, die Fachegoismen (»Silodenken«) zugunsten einer integrierten, fachübergreifenden Planung ablegen und ihre Arbeitsgrundlagen, Ergebnisse und gegebenenfalls auch Misserfolge transparent machen können. Auch kreisangehörige Städte und Gemeinden, ihre Bürgermeister, Ortsvorsteher und ihre Bürger müssen von Anfang an einbezogen werden. Sie sind dann zu gewinnen, wenn sichtbar wird, dass aus einem Erkenntnisinteresse zukunftsorientierte Handlungsstrategien abgeleitet werden können, um soziale Lagen für Menschen zu verändern und zu verbessern.
  • Zeit geben und mutig sein: Die Entwicklung einer Sozialberichterstattung braucht Zeit – es ist ein iterativer Prozess mit vielen Teilnehmern. Dieser Prozess kann mit kurzfristigeren politischen Zielen kollidieren: Wer will schon einen als sozial schwach ausgewiesenen Orts- oder Stadtteil ins einem Wahlbezirk haben? Wie gehen Bürger und Amtsträger mit örtlich schwierigen Ergebnissen und Erkenntnislagen um?
  • Ziele definieren, Sozialberichterstattung stufenweise einführen: Eine leistungsfähige, integrierte Sozialberichterstattung braucht Konsens über die inhaltlichen Ziele und den räumlichen Bezug, sie orientiert über die Ergebnisse der Sozialplanung. Der erste Schritt ist ein demografisch untersetztes Sozialmonitoring, das heißt eine verschiedene Lebenslagen umfassende Materialsammlung, auf die integrierte Entwicklungs- und Handlungskonzepte aufsetzen und einen zielgerichteten Ressourceneinsatz ermöglichen. Das heißt
    • »versäulte« Planungen verschiedener Fachbereiche der Landkreise (Kinder und Jugendliche, Senioren, Pflege, Menschen mit Behinderungen, Gesundheit, Migranten) zusammenführen, um Doppelarbeit zu vermeiden.
    • gemeinsam die Datenbestände (zum Beispiel Leistungsdaten örtlicher und überörtlicher Sozialhilfeträger, Jobcenter, Statistisches Landesamt) identifizieren, im Raumbezug verknüpfen, auswerten und auf wesentliche, dauerhaft verfügbare und standardisiert erhobene Daten (Indikatoren) beschränken.
    • Konsens darüber zu finden, dass ein kleinräumiges Sozialmonitoring unverzichtbar für eine leistungsbezogene und finanzielle Steuerung ist – weg von gefühlten Problemlagen – hin zu Fakten. Zeigen, wo sich prekäre Lebenslagen häufen und Entwicklungen in Zeitreihen abbilden, zeigen, welche Hilfearten besonders hohe Fallzahlen haben und welche besonders teuer sind, zeigen, ob das Geld in die richtigen Quartiere geht.
    • ein Frühwarn- und Controllingsystem zu generieren, das eine transparente Entscheidungshilfe bei der Entwicklung und Vorhaltung sozialer Infrastruktur ist.
    • die Materialsammlung als Plattform für den örtlichen sozialpolitischen Diskurs und für die interkommunale Zusammenarbeit nutzen.
  • die Sozialräume in Größe und Zuschnitt prüfen und anpassen: In Kapitel 13.6 wurde erläutert, dass die Sozialräume der Landkreise häufig alten administrativen Grenzen folgen bzw. ihre Abgrenzung nicht begründet wird. Vom Zuschnitt der Sozialräume hängt aber das Gelingen einer Sozialberichterstattung entscheidend ab (Saldierungsproblem). Es ist kein Zufall, dass die Typisierung von Sozialräumen in Mittelsachsen auf Gemeindeebene erfolgte! Auch der Kreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen, bei dem das raumbezogene Sozialmonitoring schon gut etabliert ist, hat sich entschlossen, 20 straßenscharf umrissene Sozialräume (als übergeordnete Raumbetrachtungsstruktur) und 64 Quartiere (als kleinste Raumbetrachtungsstruktur) auszuweisen. Dort hat es sich auch als hilfreich erwiesen, nicht nur die kreisangehörigen Kommunen, sondern auch Geografen für die Erarbeitung der Sozialräume hinzuzuziehen. Wichtig wird künftig auch sein, georeferenzierte Datenbestände (»Inspire«) verstärkt einzubinden.
  • Verständigung über die Verstetigung und Außenkommunikation der Berichte, Erreichtes evaluieren: Eine Sozialberichterstattung, die nicht regelmäßig aktualisiert wird, ist folgen- und damit weitgehend nutzlos. Sie muss auf aktuellen Daten des Sozialmonitorings gründen, die in genau zu bestimmenden Zeitintervallen aktualisiert werden. Nur dann kann ein Sozialbericht ein Frühwarnsystem für die Sozialplanung darstellen, eine Basis für die Evaluierung der sozialen Lage und eine faktenbasierte bürgerschaftliche Debatte bieten. Unverzichtbar ist auch eine gut auffindbare Internetpräsenz – sowohl für die Sozialberichterstattung wie für die diversen Fachplanungen. Transparenz, das heißt offen kommunizierte Zahlen, Daten und Fakten, ist ein wichtiger Beitrag zum sozialen Frieden.
  • Erfolgreiche Vorbilder finden, Erfahrungsaustausch organisieren, fachliche Begleitung organisieren: Der Landkreis Mittelsachsen hat mit seinem Sozialbericht Maßstäbe gesetzt, wobei die Schnittstellen zu den Sozialplanungen des Landkreises noch etwas vage sind. Bemerkenswert ist wiederum der Landkreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen mit seiner klaren Implementierungsstrategie. Mit Sicherheit gibt es weitere in ihrem raumbezogenen Sozialmonitoring und -berichterstattung erfolgreiche Landkreise, die wohl über den Deutschen Landkreistag zu identifizieren sind: gut organisierter Erfahrungsaustausch kann langwierige Implementierungsprozesse verkürzen. Das Statistische Landesamt des Freistaates Sachsen, der Sächsische Landkreistag und der Sächsische Städte- und Gemeindetag sind weitere unverzichtbare Partner, hilfreich können zum Beispiel das Institut für Länderkunde Leipzig, das Centrum für Demografie der TU Dresden oder auch die Sächsische Aufbaubank sein.
  • Umfang und Dauer der notwendigen Unterstützung aller Projektbeteiligten klären und organisieren: Ein Sozialmonitoring bzw. eine darauf aufsetzende Sozialberichterstattung organisiert sich nicht en passant. Zumindest für die Startphase wird eine externe Prozessbegleitung und Moderation innerhalb der Verwaltung hilfreich sein, für die Sozialraumabgrenzung ist die Unterstützung durch Sozial- oder Wirtschaftsgeografen hilfreich. Voraussetzung dafür sind eine (wenn möglich kreisübergreifende) inhaltliche Konzeption für die Implementierung der Sozialberichterstattung, eine Abstimmung mit den Gemeinden und kreisabhängigen Städten zu ihrer Mitwirkungsbereitschaft, ein belastbarer Zeitplan sowie eine inhaltliche und zeitliche Darstellung der notwendigen Unterstützung.
  • Einen gemeinsamen Indikatorensatz nutzen: Der Beirat zur Sozialberichterstattung hat in seiner letzten Sitzung empfohlen, zumindest den Landkreisen einen gemeinsamen Kernindikatorensatz zur Verfügung zu stellen, der künftig den Nukleus der landkreislichen Sozialberichterstattung bilden soll. Der Kernindikatorensatz kann bei Bedarf bedarfsentsprechend ergänzt werden. Er soll den Landkreisen so zur Verfügung gestellt werden, dass die Daten auf Ebene der abschließend bestimmten Sozialräume abgerufen werden können (wie dies bereits zum Beispiel für das Pflegenetz geschieht). Neben den Datenbeständen des Demografiemonitors (Bevölkerung) sollen die Themenfelder Haushalte, Wohnen und Wohnungslosigkeit343; Lebensunterhalt; Kinder, Jugendliche, Familien und Paare; Senioren und Seniorinnen; Pflege; Gesundheit; Menschen mit Behinderungen; Einwohner/innen mit Migrationshintergrund geeigneten Indikatoren ausgewiesen werden. Der Kernindikatorensatz soll rund 100 Indikatoren umfassen. Wünschenswert wäre auch, wenn die Landkreise und Kommunen die wichtigsten kommunalen Haushaltszahlen in die Sozialberichterstattung einpflegen.
 

Fußnoten

339 Zum 01.08.2008 wurden die bisherigen 22 Landkreise und sieben Kreisfreien Städte zu zehn Landkreisen und drei Kreisfreien Städten zusammengefasst.

340 SAB, Wohnungsbaumonitoring 2011. Perspektiven und Trends der Entwicklung auf dem sächsischen Wohnungsmarkt, Seite 7.

341 Vergleiche dazu auch Harald Simons, Lukas Weiden, Schwarmverhalten in Sachsen – Umfang, Ursache, Nachhaltigkeit und Folgen der neuen Wanderungsmuster, Dresden, 2016.

342 Vergleiche dazu auch Jan Dohnke, Monitoringsysteme der sozialen Stadtentwicklung – Stand und zukünftige Herausforderungen, Jahrbuch StadtRegion, 1-2012, Seiten 144–169. https://doi.org/10.3224/jbsr.v7i1.08 (Abruf am 10.10.2018).

343 Bislang werden Daten zur Wohnungslosigkeit – in allerdings unterschiedlichem Datenzuschnitt – nur von den drei Kreisfreien Städten Dresden, Leipzig und Chemnitz erhoben. Leipzig und Chemnitz erheben diese Daten im Kontext des Sozialmonitorings.

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