Zusammenfassung
Erwerbstätigkeit, Einkommen und Armutsgefährdung in Sachsen
Die sozioökonomische Situation der in Sachsen erwerbstätigen Personen hat sich im Zeitraum von 2005 bis 2015 insgesamt positiv entwickelt. Ein Treiber dieser Entwicklung ist die deutliche Zunahme sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse. Spiegelbildlich zu dieser positiven Entwicklung ist die Arbeitslosigkeit deutlich zurückgegangen. Gleichzeitig sind die realen Erwerbseinkommen, gemessen am Tageslohn einer vollzeitbeschäftigten Person, gestiegen. All diese positiven Entwicklungen drücken sich in zentralen, steuerungsrelevanten Indikatoren aus: Die Armutsrisikoquote ist gesunken, die Anzahl der Bezieher von SGB II-Leistungen ging zurück. Die Haushalte in Sachsen erwirtschaften öfter ihren Lebensunterhalt selbst, die (Teil-)Abhängigkeit von Transferleistungen geht zurück.
Diese grundsätzlich positiven Entwicklungen lassen sich im Rahmen einer geschlechtsspezifischen Betrachtung weiter ausdifferenzieren. Dabei werden drei Besonderheiten deutlich: Zum einen verliert das in Sachsen bisher herrschende Modell, wonach Männer wie Frauen Vollzeit erwerbstätig waren, an Bedeutung. Die Teilzeittätigkeiten von Frauen nehmen zu. Dies wirft perspektivisch Fragen nach der eigenen Existenzsicherung der Frauen auf, insbesondere nach Trennung und Scheidung sowie im Alter. Zum anderen liegt der Tageslohn der vollzeitbeschäftigten Frauen unter dem Tageslohn der vollzeitbeschäftigten Männer, was einer allgemeinen Entwicklung, die unter dem Stichwort »gender pay gap« diskutiert wird, entspricht. Die dritte geschlechtsspezifische Besonderheit ist, dass Alleinerziehende – und das sind weit überwiegend Frauen – nur unterdurchschnittlich von der Verbesserung der sozioökonomischen Situation profitieren. Sie partizipieren nur zu geringen Teilen an den Einkommenszuwächsen und ihre Armutsrisikoquote ist im Zeitverlauf gestiegen.
Bei einer regionalen Betrachtung der sozioökonomischen Situation wird deutlich, dass die Binnenunterschiede an Bedeutung gewinnen. Dies betrifft insbesondere die Beschäftigungszuwächse und die Tageslohnentwicklung in den Kreisfreien Städten in Relation zu den Landkreisen. Annähernd die Hälfte des im Zeitraum von 2005 bis 2015 beobachteten Beschäftigungszuwachses erfolgte in den Kreisfreien Städten Dresden und Leipzig. Der Tageslohn liegt in diesen beiden Städten (sowie in der Kreisfreien Stadt Chemnitz und auch im Landkreis Zwickau) deutlich über dem sachsenweiten Durchschnittswert.
Familien in Sachsen
In Sachsen werden nach dem wendebedingten Einbruch der Geburten in den letzten Jahren immer mehr Kinder geboren. Im Jahr 2015 hatte Sachsen die bundesweit höchste Geburtenrate. Kinderlosigkeit ist in Sachsen deutlich seltener als in Westdeutschland. Überwiegend haben Familien in Sachsen ein Kind. Es ist jedoch auffällig, dass der Anteil der Familien mit zwei Kindern sowie der Anteil der Mehrkindfamilien im Betrachtungszeitraum kontinuierlich angestiegen ist. Insgesamt steigt in Sachsen die Zahl der Kinder und Jugendlichen an, jedoch nicht überall.
Die Zunahme an Geburten und Familien vollzieht sich in Sachsen regional nach einem klaren Muster: Die Kreisfreien Städte gewinnen, in den Landkreisen stagniert die Zahl der Familien mit minderjährigen Kindern oder sinkt. Nur die Kreisfreien Städte Dresden, Leipzig und Chemnitz hatten 2015 mehr Familien als 2005. Dabei ist der Zuwachs in Dresden und Leipzig besonders hoch, sodass sie als Familienhauptstädte in Sachsen gelten können.
Hauptquelle des Familieneinkommens ist die Erwerbstätigkeit beider Elternteile. Die Erwerbstätigkeit von Müttern und Vätern ist im Zeitraum von 2005 bis 2015 kontinuierlich gestiegen. Im Jahr 2015 waren in Sachsen 9 von 10 Vätern und 8 von 10 Müttern erwerbstätig. Väter sind größtenteils Vollzeit erwerbstätig, bei den Müttern ist eine Entwicklung hin zu Teilzeittätigkeiten zu beobachten; im Jahr 2015 lag die Teilzeitquote der Mütter erstmals über deren Vollzeitquote. Die Müttererwerbstätigkeit und der Erwerbsumfang der Mütter sind durch bedarfsgerechte Betreuungsinfrastrukturangebote beeinflussbar. Deshalb sind diese Indikatoren steuerungsrelevant und sollten in Zukunft im Rahmen eines kontinuierlichen Monitorings beobachtet werden.
Einfluss auf das Familienleben und die Alltagsorganisation mit kleinen Kindern hat das Elterngeld. Diesbezüglich ist bemerkenswert, dass die Väter in Sachsen bundesweit zu den Spitzenreitern bei der Inanspruchnahme von Elterngeldmonaten gehören. Sie bringen sich in dieser Zeit stark in die Kinderbetreuung ein und unterstützen den beruflichen Wiedereinstieg ihrer Partnerinnen. Dieses Verhalten sowie eine Zunahme von Teilzeittätigkeiten der Väter, auf niedrigem Niveau, deuten darauf hin, dass Väter in Sachsen immer mehr eine egalitäre Rollenaufteilung mit den Müttern umsetzen.
Rund ein Viertel aller Familien in Sachsen sind Alleinerziehende. Trotz der positiven Entwicklungen in Bezug auf die Müttererwerbstätigkeit und die damit verbundene rückläufige Transferabhängigkeit von Familien leben Alleinerziehende zu großen Teilen in prekären Situationen. Sie sind seltener erwerbstätig, beziehen häufiger Transferleistungen und sind stärker armutsgefährdet als Mütter in Paarfamilien. Hinzu kommt, dass sie häufiger keine oder nur niedrige Bildungsabschlüsse haben. Vor diesem Hintergrund sollte die Politik in Sachsen Alleinerziehende noch stärker als bisher in den Fokus nehmen und ihnen mit geeigneten Unterstützungsangeboten Brücken zu Bildungsabschlüssen und in die Erwerbstätigkeit bauen.
Sozialbudget, Kinderbetreuung und Hilfen für Familien in Sachsen
In Sachsen lässt sich im Betrachtungszeitraum von 2005 bis 2015 ein starker Ausgabenanstieg in der Kinder- und Jugendhilfe beobachten. Rund drei Viertel der Ausgaben entfallen auf die Betreuung und Erziehung von Kindern in Tageseinrichtungen, Tagespflege und Horten. Insofern spiegeln sich im Sozialbudget bundespolitische Entwicklungen (Ausbau der Betreuungsinfrastruktur, Rechtsanspruch auf U3-Betreuung) wider. Dabei handelt es sich um sinnvolle und erfolgreiche Investitionen, weil Kinderbetreuungsangebote Grundvoraussetzung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind und insbesondere Müttern eine Erwerbstätigkeit ermöglichen.
Die Dynamik des Betreuungsausbaus in Sachsen lässt sich vor allem an der Besuchsquote der Kinder unter drei Jahren festmachen. In Sachsen wird jedes zweite Kind in diesem Alter in einer Kindertageseinrichtung oder (seltener) bei einer Tagespflegeperson betreut. Bundesweit beläuft sich die Betreuungsquote in diesem Alter auf ein Drittel.
Die Besuchsquote ist jedoch kein Indikator, der zeigt, ob das Betreuungsangebot auch dem Bedarf der Eltern entspricht. Aussagen zu fehlenden Kapazitäten und zu unzureichenden Öffnungszeiten der Betreuungseinrichtungen lassen sich auf Grundlage der vorhandenen Indikatoren nicht treffen. Jedoch deuten die Daten stark darauf hin, dass es regionale Unterschiede in der Kinderbetreuung gibt. Bei einer weiteren Entwicklung der Kinderbetreuungsinfrastruktur wäre daher zu prüfen, inwieweit Bedarfsanpassungen notwendig sind und in diesem Zusammenhang die Bedarfe der Eltern zu ermitteln und einzubeziehen. Zudem könnte die Betreuungsinfrastruktur stärker in Richtung eines Angebotsmix von Einrichtungen und Tagespflege entwickelt werden.
Neben der Kinderbetreuungsinfrastruktur unterstützt der Freistaat Sachsen Familien, Kinder und Jugendliche mit weiteren Leistungen. Einen hohen Stellenwert haben dabei die Hilfen zur Erziehung. Die dafür verausgabten Mittel sind im Betrachtungszeitraum von 2005 bis 2015 deutlich angestiegen. Antworten auf die Frage, wie es zu diesem Anstieg kam und welche Faktoren, neben einer Zunahme der Zahl der Hilfeberechtigten, wie stark zum Ausgabenanstieg beitragen, lassen sich im Rahmen des Sozialberichtes allein nicht geben. Der Freistaat Sachsen hat im Auftrag des Sächsischen Landtages eine Expertenkommission einberufen, die sich mit den Entwicklungen im Bereich der erzieherischen Hilfen im Freistaat Sachsen und den damit einhergehenden Herausforderungen befasst. Die abschließende Bewertung der Kommission steht noch aus. Nach Abschluss der Arbeit der Kommission wird sich gegebenenfalls weiterer Untersuchungsbedarf ergeben.
Ebenfalls weiterer Untersuchungsbedarf besteht mit Blick auf die regionale Varianz bei den gewährten Leistungen und Leistungsumfängen sowie hinsichtlich der damit verbundenen Ausgaben. Im Rahmen von Organisations- und Prozessuntersuchungen in Landkreisen und Kreisfreien Städten ließen sich Gründe für die Varianz erheben.
Conclusio
Die vorangegangenen Analysen zu Erwerbstätigkeit und Einkommen sowie Familien und Unterstützungsleistungen verdeutlichen, dass die Landesregierung in Sachsen zur Sicherung und Verbesserung der sozialen Lage Aktivitäten fortsetzen und intensivieren sollte, welche die sächsischen Bürgerinnen und Bürger in die Lage versetzen, eigenverantwortlich ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Der nachhaltigste Schutz vor Armut sind zwei Erwerbseinkommen, auf die sich Familienhaushalte stützen können. Diesbezüglich gilt es, das hohe Erwerbstätigkeitsniveau von Eltern in Sachsen zu erhalten. Hauptinstrument ist der bedarfsgerechte Ausbau der Kinderbetreuung. Er trägt auch dazu bei, dass mehr Paare ihre Kinderwünsche umsetzen und mehr Kinder in Sachsen geboren werden.
Die Analysen haben gezeigt, dass die Alleinerziehenden in Sachsen bisher nur teilweise von den positiven Entwicklungen profitieren konnten. Ihre besondere persönliche Lebenslage, die dadurch gekennzeichnet ist, dass ein unterstützender Partner sowie ein zweites Einkommen fehlen, kann zielgruppenspezifische Unterstützungsleistungen des Staates begründen. Diese sollten Brücken in die Erwerbstätigkeit und/oder in die schulische und berufliche Qualifikation bauen.
Die starken regionalen Unterschiede zeigen in verschiedenen Untersuchungsbereichen eine deutliche Differenz zwischen den Kreisfreien Städten, vor allem Dresden und Leipzig, und den Landkreisen. Dieser Befund beschreibt die Ansprüche an eine Weiterentwicklung sozial- und arbeitsmarktpolitischer Strategie- und Programmentwicklung.