Armutsrisiko
Die Armutsgefährdungsquote der Bevölkerung im Alter von 65 Jahren und mehr ist in Sachsen zwischen 2005 und 2015 von gut 2 Prozent auf gut 5 Prozent angestiegen (Abbildung 5-12).114 Im Bundesvergleich zeigt sich, dass das Armutsrisiko von (männlichen) Senioren in Westdeutschland im betrachteten Zeitraum allerdings noch stärker von 13,5 Prozent auf 17 Prozent zugenommen hat. Das Armutsrisiko der Seniorinnen war sowohl 2005 als auch 2015 etwas höher als das der (männlichen) Senioren, allerdings haben sich die Quoten beider Gruppen in den letzten Jahren angenähert.
Da Daten auf Ebene der Landkreise und Kreisfreien Städte zur Berechnung der Armutsgefährdungsquote der Älteren nicht verfügbar sind, werden im Folgenden Indikatoren dargestellt, die regional verfügbar sind und ebenfalls auf beengte Einkommensverhältnisse hinweisen. So dient beispielsweise Wohngeld der Unterstützung von Haushalten, deren Einkommen nicht zur Übernahme der Mietkosten ausreicht.115 Zwischen 2005 und 2015 hat sich die Zahl der Wohngeldhaushalte in Sachsen von knapp 80.000 auf knapp 40.000 halbiert (Abbildung 5-13). Auch die Zahl der Haushalte von Rentnern und Pensionären mit Wohngeldbezug ist in diesem Zeitraum deutlich um knapp 40 Prozent geschrumpft.116
Die Zahl der Wohngeldhaushalte gibt allerdings nur bedingt Auskunft über die Entwicklung des Armutsrisikos auf regionaler Ebene in Sachsen. Wohngeld ist gegenüber der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung eine vorrangige Sozialleistung, durch die eine hilfsbedürftige Lage überwunden werden kann. Wohngeld und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung können damit nicht zeitgleich bezogen werden. Ein Rückgang der Wohngeldhaushalte spiegelt deshalb nicht in jedem Fall einen Rückgang des Armutsrisikos wider, insbesondere dann nicht, wenn das Wohngeld nicht ausreicht, um die Hilfsbedürftigkeit von Haushalten zu überwinden. Dann nämlich rückt für Seniorenhaushalte die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung an Stelle des Wohngeldes, die daher im Folgenden betrachtet wird.
Die Zunahme des Armutsrisikos von Senioren in Sachsen, wie sie die Armutsgefährdungsquote misst, geht einher mit einem Anstieg der Zahl der Empfänger von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung jenseits der Altersgrenze in Sachsen von weniger als 9.000 Personen im Jahr 2005 auf knapp 12.000 Personen im Jahr 2015. 118 Diese staatliche Unterstützungsleistung erhält, wer im gesetzlichen Mindestalter »…den notwendigen Lebensunterhalt weder aus eigenen Mitteln (Einkommen und Vermögen) und Kräften (Einsatz der Arbeitskraft) noch mit Hilfe anderer bestreiten kann« (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2017). Zwischen 2005 und 2015 hat die Zahl der Leistungsempfänger um gut ein Drittel zugenommen.119 Das betraf insbesondere die Zahl männlicher Empfänger von Grundsicherung im Alter jenseits der Altersgrenze sowie den Anteil männlicher Empfänger an der männlichen Bevölkerung jenseits der Altersgrenze. Die Werte stiegen von knapp 2.500 Personen (0,7%) 2005 auf über 5.000 Personen (1,2%) 2015. Die Zahl weiblicher Empfänger von Grundsicherung im Alter jenseits der Altersgrenze zeigte dagegen nur zwischen 2005 und 2015 eine leicht ansteigende Tendenz mit einem stärkeren zwischenzeitlichen Rückgang durch die Wohngeldnovellierung 2009 und einem weiteren leichten Einschnitt 2014 (vermutlich im Zusammenhang mit der verbesserten Mütterrente). Auch die Anteilswerte an der gleichaltrigen Bevölkerung spiegeln diese Tendenz wider, so dass Männer 2015 erstmals etwas häufiger Grundsicherungsleistungen im Alter bezogen als Frauen (Abbildung 5-14).
Diese Entwicklung zeigt sich auch auf regionaler Ebene. 2005 wiesen alle Landkreise und Kreisfreien Städte in Sachsen mit Ausnahme der Kreisfreien Stadt Leipzig einen Anteil männlicher Empfänger von Grundsicherung im Alter jenseits der Altersgrenze von 10 je 1.000 Personen oder weniger auf (Abbildung 5 15). Bis 2015 ist der Anteil männlicher Empfänger je eintausend Personen in allen Landkreisen und Kreisfreien Städten angewachsen, am stärksten (in Promillepunkten) in den Kreisfreien Städten Leipzig (+11,7 je 1.000 Personen), Dresden (+9,9) und Chemnitz (+7,1), am geringsten in den Landkreisen Bautzen (+1,3) und Nordsachsen (+1,5).120
Der Anteil weiblicher Empfänger von Grundsicherung im Alter jenseits der Altersgrenze je Tausend Personen dieser Bevölkerungsgruppe war 2005 vor allem in den Kreisfreien Städten Leipzig, Dresden und Chemnitz recht hoch (Abbildung 5‑16). Bis 2015 sank der Anteil weiblicher Empfänger von Grundsicherung im Alter jenseits der Altersgrenze in sieben Landkreisen. Am stärksten war der Zuwachs (in Promillepunkten) wie bei den Männern in den Kreisfreien Städten Leipzig (+4,4), Dresden (+5,1) und Chemnitz (+4,3).
Der Anstieg der Zahl der Empfänger von Grundsicherung im Alter jenseits der Altersgrenze in Sachsen und deren Anteil an der Bevölkerung jenseits der Altersgrenze fällt allerdings im Bundeslandvergleich gering aus, im Vergleich mit den weiteren ostdeutschen Bundesländern ist er vergleichsweise ausgeprägt. Beispielsweise waren 2015 in Hamburg fast 75 von 1.000 Personen jenseits der Altersgrenze auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung angewiesen (Abbildung 5‑17). 2005 waren es noch gut 40 von 1.000 Personen. Auch in den beiden anderen Stadtstaaten Berlin und Bremen ist der Anstieg seit 2005 und das Niveau 2015 ähnlich ausgeprägt.
Die prognostizierten demografischen Veränderungen in Sachsen (siehe Kapitel Demografie) wirken sich auch auf die Zahl der Empfänger von Grundsicherung im Alter aus. Bis 2030 wird deren Zahl weiter zunehmen. Auf regionaler Ebene zeigen sich 2020 und 2030 nur kleinere Abweichungen zu den Darstellungen für das Jahr 2015 (Abbildung 5-15 und Abbildung 5-16). 2030 wird mit 24 Prozent fast ein Viertel aller Empfänger von Grundsicherung im Alter in Sachsen in der Kreisfreien Stadt Leipzig leben und weitere 17 Prozent in Dresden (Abbildung 5-18).121 Entsprechend ist davon auszugehen, dass sich die Verteilung von Empfängern von Grundsicherung im Alter nur marginal ändert.
Die Zahl der Empfänger von Grundsicherung hat allerdings nur eine begrenzte Aussagekraft für die »demografischen Lasten«, die sich regional unterschiedlich entwickeln werden. Der Ausgabenquotient, also die Ausgaben der Grundsicherung im Alter pro Einwohner jenseits der Altersgrenze, zeigt dagegen die unterschiedlichen demografischen Lasten auf Ebene der Landkreise und Kreisfreien Städte (Abbildung 5‑19). Insbesondere in Chemnitz und Leipzig wird die demografische Last auch zukünftig hoch bleiben. Eher auf geringem Niveau bleibt der Ausgabenquotient dagegen im Erzgebirgskreis und im Landkreis Mittelsachsen.122
Der Anstieg der Empfänger von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bis 2030 lässt sich zumindest teilweise durch die in der jüngeren Vergangenheit im Bundeslandvergleich hohen Arbeitslosenquoten der 55- bis unter 65-Jährigen erklären (Abbildung 5‑20 im folgenden Kapitel). Sachsen wies 2008 eine Arbeitslosenquote der 55- bis unter 65-jährigen Frauen und Männer von über 12 Prozent auf. Bis 2016 sank die Arbeitslosenquote in Sachsen für beide Geschlechter zwar deutlich, lag aber immer noch über der der Arbeitslosenquote in den meisten westdeutschen Bundesländern. Durch Phasen der Arbeitslosigkeit sind zukünftig geringere Rentenzahlungen zu erwarten, die das Einkommen der (zukünftigen) Rentner wesentlich bestimmen.
Fußnoten
114 Die Armutsgefährdungsquote berechnet sich als Anteil der Personen, deren Äquivalenzeinkommen weniger als 60% des Medians der Äquivalenzeinkommen der Bevölkerung (in Privathaushalten) der jeweiligen Region (in diesem Fall Sachsen) beträgt. Das Äquivalenzeinkommen ist ein gewichtetes Pro-Kopf-Einkommen. Es wird ermittelt, indem das Haushaltsnettoeinkommen durch die Summe der Bedarfsgewichte der im Haushalt lebenden Personen dividiert wird.
115 Das Wohngeld ist ein staatlicher Zuschuss zu den Aufwendungen für den Wohnraum, wenn die Höhe der Miete oder Belastung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Haushaltes übersteigt. Damit soll auch einkommensschwächeren Bevölkerungsschichten ein angemessenes und familiengerechtes Wohnen ermöglicht werden. Auf die Zahlung von Wohngeld besteht bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen ein Rechtsanspruch.
116 Der Anstieg 2009 ist vermutlich auf eine Wohngeldreform und einer damit einhergehenden Reihe von Leistungsverbesserungen zurückzuführen. Dabei wurden die zuschussfähigen Höchstbeträge um 10 Prozent angehoben sowie das Wohngeld insgesamt um rund 8 Prozent erhöht. Zudem wurde zur anrechenbaren Bruttokaltmiete ein nach der Haushaltsgröße gestaffelter fester Betrag für Heizkosten hinzugerechnet. Diese Summe war der maßgebliche Betrag für die Ermittlung des Wohngeldes. Im Ergebnis hatten ab 2009 mehr Haushalte einen Anspruch auf Wohngeld.
117 Betrachtet werden lediglich reine Wohngeldhaushalte.
118 Gemäß § 41 SGB XII liegt die Altersgrenze seit 2012 nicht mehr fest bei 65 Jahren, sondern sie steigt jährlich sukzessive bis auf 67 Jahre. Im Folgenden wird deshalb von »jenseits der Altersgrenze« gesprochen.
119 Der Rückgang der Empfängerzahl von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung jenseits der Altersgrenze ab 2009 ist vermutlich auf die Wohngeldreform im selben Jahr zurückzuführen. Haushalte, die mit Wohngeld ihre Hilfsbedürftigkeit überwinden können, sind nicht mehr anspruchsberechtigt für Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.
120 Betrachtet man den prozentualen Zuwachs, ergibt sich ein etwas unterschiedliches Bild mit Zuwächsen von 129 Prozent im Vogtlandkreis und 82 Prozent in der Kreisfreien Stadt Leipzig.
121 Ein Grund für den hohen Anteil an Empfängern von Grundsicherung im Alter in den Kreisfreien Städten Leipzig und Dresden sind die dort höheren Wohnkosten.
122Zu beachten ist, dass die Ausgaben für Grundsicherung im Alter bereits seit 2014 vom Bund getragen werden.